Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

IRONMAN Frankfurt 2005

Opel IRONMAN GERMANY, powered by Duracell – Der längste Tag des Jahres 2005

 

 

 

 

 

 

„Daten + Fakten ”

Der Opel IRONMAN GERMANY, powered by Duracell – begeisterte am 10. Juli 2005 erneut ca. 350.000 Zuschauer (nach offiziellen Schätzungen der Polizei) entlang der Wettkampfstrecke durch Frankfurt am Main und die Landkreise Offenbach, Main-Kinzig und Wetterau. 1.843 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 41 Nationen waren nach Frankfurt gekommen, um hier „den längsten Tag des Jahres 2005“ zu bestreiten. Mit im Startfeld waren Andrea Helmuth und Kay Spamer vom LT Neu-Isenburg. Am frühen Morgen hatte es bereits über 15.000 Zuschauer zur Schwimmstrecke an den Langener Waldsee gezogen, wo Hessens Ministerpräsident Roland Koch pünktlich um 7:00 Uhr den Startschuss zum 4. Opel IRONMAN GERMANY gab. Hessens Innenminister Volker Bouffier ist begeistert von der Veranstaltung. Der Ironman habe sich in Frankfurt etabliert. Die sportliche Klasse sei beachtlich und die „Bevölkerung macht mit”, meint er.

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Das schöne Wetter vom Morgen hielt sich über den gesamten Tagesverlauf und sorgte erneut für die mittlerweile berühmt gewordene einzigartige Atmosphäre entlang der 180 km langen Radstrecke. Neben den bereits bekannten Hochburgen „The Hell“ in Maintal-Hochstadt, dem „Heartbreak Hill“ in Bad Vilbel und der Friedberger Burg-Meile hatte diese am „längsten Tag des Jahres 2005“ ein neues Highlight zu bieten. „The Health“ in der Kurstadt Bad Nauheim, die den nördlichen Wendepunkt der Radstrecke markiert, bot tausenden Schaulustigen einen weiteren attraktiven Anlaufpunkt, um die Athleten auf ihrer Tour durch die Wetterau aus nächster Nähe zu erleben.

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Die Marathonstrecke vor der imponierenden Frankfurter Skyline und dem reizvollen Museumsufer wartete zu beiden Seiten des Mains mit zahlreichen Aktivitäten und umfangreichem Rahmenprogramm der Sponsoren und vieler Vereine auf. Ob Samba-Trommeln oder Musik aus der Äbbelwoi-Schenke, hier hatte man sich viel einfallen lassen, um die Athletinnen und Athleten zu motivieren und ihnen den Weg ins Ziel zu ebnen.

Kreislaufzusammenbrüche

Während auf dem Römerberg die Eisenmänner im Ziel von den Zuschauern bejubelt werden, mussten andere längst aufgeben. Zum Beispiel, weil sie auf der regennassen Fahrbahn mit dem Rad gestürzt sind und sich einen Knochenbruch zugezogen haben. Am späten Nachmittag häufen sich die Krankentransporte. Theodor Brand, stellvertretender Landesbereitschaftsleiter des Deutschen Roten Kreuzes Hessen, macht vor allem das schwüle Wetter für Kreislaufzusammenbrüche verantwortlich. Gegen 18.30 Uhr mussten die 330 Betreuer nach seinen Angaben bereits in 150 Fällen medizinische Hilfe leisten und 30 Krankentransporte fahren.

Whirlpools für die Extremsportler

Im Medical Center des Roten Kreuzes auf dem Paulsplatz sind 70 Ärzte im Einsatz, 120 Feldbetten mit Infusionsflaschen sind aufgebaut. Sogar ein kleines Labor ist eingerichtet, um den Mineralstatus im Blut besonders erschöpfter Athleten schnell feststellen zu können. Denn seien zum Beispiel die Kalium- und Natriumwerte zu niedrig, könne das lebensgefährlich werden, sagt Leo Latasch, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst des Stadtgesundheitsamts. Am frühen Abend sind fast alle Feldbetten belegt. Aber nach einer Infusion sind die meisten Athleten schnell wieder auf den Beinen. Andere liegen mit Muskelkrämpfen auf den Betten und lassen sich massieren oder sitzen in einem der eigens für die Extremsportler aufgestellten Whirlpools. Doch ein Entspannungsbad bringt nur kurze Linderung. Bis der Körper den nächsten Triathlon verkraften kann, werden Wochen vergehen.

 

Unser erster Ironman…

 

Donnerstag

Der erste Urlaubstag. Nach einem gemütlichen Frühstück machen wir uns an einem immer noch verregneten Donnerstagmorgen auf den Weg zum Frankfurter Römerberg, wo im Race Office die Startunterlagen auf uns warten sollten. Gegen Mittag erste Sonnenstrahlen und wir treffen viele Bekannte aus dem Frühjahrstrainingslager auf Mallorca wieder.

 

Freitag

Wettkampfbesprechung in der Frankfurter Festhalle. Es besteht Anwesenheitspflicht. Auch das Thema Doping wird nicht ausgespart. Norman Stadler ist irgendwie viel kleiner als wir ihn aus dem Fernseher in Erinnerung hatten. Die Besprechung zieht sich in die Länge. Bei knapp 2.000 Teilnehmern fallen einigen Anwesenden sehr abstruse Fragen ein.

 

Samstag

Nach einer ruhigen Nacht, gefolgt von einem angenehmen späten Frühstück, holte uns die Nervosität beim Zusammenpacken des Equipments für das Rennen doch noch ein. Für jede Disziplin ein anders farbiger Sack. Die Laufsachen müssen komplett abgegeben werden.

Tag der Radabgabe am Langener Waldsee. Da die Radabgabe nach Startnummern gestaffelt ist, die wiederum für uns „Normalsterbliche“ in alphabetischer Reihenfolge vergeben wurden, müssen wir einmal vormittags und einmal nachmittags an den See. Den Abend verbrachten wir mit einer großen Pasta gemütlich zuhause. Wir gingen früh zu Bett, schließlich sollte der Wecker um 3:30 Uhr klingeln.

 

Sonntag

Endlich war es so weit. Der Tag, auf den wir nun ein Jahr lang hin trainiert haben, war gekommen. Leider ist auch morgens um 5:00 Uhr ein Heranfahren an den Eingang des Waldsees nicht direkt möglich und wir sind die letzten 2 km flott gegangen. Die erste Laufeinheit des Tages  Endlich erreichten wir die 1. Wechselzone, wo schon reges Treiben herrschte. Sportler liefen konzentriert auf und ab, andere standen in Schlangen vor transportablen Toiletten. Wir machten uns gleich daran, die Wechselzone direkt am Rad einzurichten. Umziehen im Zelt war an diesem Tage nicht nötig, da bereits schon 16°C herrschten. Das Wasser hatte 21°C. Alles schien perfekt zu sein. Die Reifen hatten vollen Druck und die Sonne ging auch langsam am Horizont auf. Während wir uns in die Neoprenanzüge warfen, sprach ein Pfarrer ein Gebet für die Athleten.

„Wie im Piranhabecken”

Vangelis‘ „Conquest of Paradise” klang an, und die Masse setzte sich zum Wasser hinab in Bewegung, vorbei an den Fans. Einer hielt ein Plakat in der Hand: „Der Schmerz geht, der Stolz bleibt“. Na, wollen wir mal hoffen, dachte Andrea. Alle trugen Neoprenanzüge, und unterschieden sich nur in Größe und Figur. Wir trafen erste Bekannte und unsere Schwimmtrainerin Birgit. Man wünschte sich noch mal viel Glück und versuchte seine Nervosität hinter einem Lächeln zu verbergen. Die ersten Schritte in den See waren nicht gerade sehr angenehm, mindestens knöcheltiefer Algen-Schlick-Glibber galt es zu durchqueren, nach 3-4 Schritten war es aber geschafft und wir dümpelten auf den Neos nebeneinander im Wasser. Ein paar lockere Kraulzüge und wir machten uns auf den Weg in den hinteren Teil des Starterfeldes. Da waren zwar auch nicht weniger Leute, aber eventuell hätte man bei der ersten Wendemarke das Gedränge ganz innen vermeiden können. Schon erklingt die deutsche Nationalhymne. Ein letzter Kuss, ein leiser Startschuss dann zogen alle los. Um uns herum flogen Arme und wir waren mittendrin. Irgendwie konnten wir es noch gar nicht fassen. Wenn man so in der Masse schwimmt, ist das nichts für zarte Gemüter. Höchste Konzentration auf die Füße vor uns war gefragt, denn plötzlich kann es einen Übergang von Kraul- zu Brustschwimmen geben und schwups, hat man die Füße des Vordermanns im Gesicht. Nach 1,9 Kilometern war die Hälfte der Strecke geschafft, wir kamen zum Strand zurück und spurteten über einen kurzen Landweg zur zweiten Runde ins Wasser. Der Moderator des Ironman in Hawaii, Mike Riley, feuerte zusammen mit den Zuschauermassen die Athleten an. Nach 3,8 Kilometern und 01:15:38 Std. entstieg Kay dem Wasser und lief zum Wechselplatz, wo die Rennräder standen.

Andrea hatte nach 01:27:27 Std. wieder Land unter den Füßen und strahlte. Sie sprintete zu ihrem Rennrad, streifte den Neoprenanzug ab und saß schon nach 06 Minuten und 19 Sekunden auf dem Sattel. Kay ließ es mit 9 Minuten und 19 Sekunden in der Wechselzone eher gemächlich angehen; der Tag war ja noch lang.

Trotz Gegenwind lief es auf der Strecke nach Frankfurt recht gut. Die Durchfahrt in Frankfurt verlief zunächst mal noch sehr unspektakulär. Viele Zuschauer waren entweder noch auf dem Weg vom Waldsee zur Innenstadt oder kamen erst zur abschließenden Disziplin, dem Marathon, an den Main. Erst in Bergen-Enkheim stand die erste, langgezogene Steigung auf dem Programm. „The Beast“ ist allerdings überhaupt nicht so biestig und viele Zuschauer säumten hier den Weg, um die Athleten den Anstieg hoch zu schreien.

Auf der nun folgenden Abfahrt konnte man dann die Muskulatur nochmals ein wenig auflockern und sich bereits mental auf den ersten Höhepunkt der Radstrecke vorbereiten. Bei km 30 durchfuhren wir die Hölle. „The Hell“, das ist eine rund 500 Meter lange Kopfsteinpflasterpassage in Maintal-Hochstadt. Paris-Rubaix lässt grüssen. Kräftig wurden Mensch und Maschine durchgeschüttelt. Das Menschenmeer links und rechts der Strecke veranstaltete einen Höllenlärm, ein wahrhaftiger Teufel bewaffnet mit Dreizack, sprang wie ein Derwisch herum und animierte die Fahrer immer kräftiger in die Pedale zu treten.

Ein kurzes Stück ging es nun bergab, bevor sich der Hühnerberg in den Weg stellt. Langgezogen zwar, aber unser Training schien sich auszuzahlen. Auf der Abfahrt konnte man dann noch mal so richtig Tempo machen, bis dann in Bad Nauheim der Wendepunkt der Radstrecke erreicht wurde. Der heftige Gegenwind schlägt augenblicklich in Rückenwind um und verleiht einem das Gefühl unendlicher Freiheit. Man bekommt nochmals richtig Druck auf die Pedale und erreicht schnell die „Burg-Meile“ in Friedberg. Ein weiteres Stimmungsnest. An der Ortsausfahrt gab es die obligatorische Verpflegung; Powerbar, Powergel, Bananen, Iso, Red Bull, Cola und Wasser. Diese Zusammenstellung der Verpflegung sollte uns im weiteren Verlauf der Veranstaltung noch einige Probleme bereiten.

Weiter ging es nun in Richtung Bad Vilbel, dem letzten Highlight der Radrunde. „Heartbreak Hill“, das hessische L’Alpe d’Huez, wartete mit einem Zuschauerspalier, das wirklich nicht mehr zu Steigern war. Erst im letzten Moment gaben die Zuschauer unter ohrenbetäubendem Lärm die Strecke frei. „Bis jetzt sahen sie gut aus” sagten Kays Eltern und Natascha, die Tochter von Andrea, die sich in Bad Vilbel positioniert hatten.

Wahnsinn! Wer nicht spätestens hier eine Gänsehaut bekam, der kann es in Sachen coolness wohl wirklich mit Arnold ‚Terminator’ Schwarzenegger aufnehmen. Einzig die Bezeichnung „Heartbreak Hill“ nervt ein wenig. Auch wenn Anglizismen immer mehr Einzug in unseren Sprachraum halten, und es natürlich auch viel besser klingt als „Hügel des Herzleides“, so ist diese Bezeichnung eigentlich durch den Bostonmarathon urheberrechtlich geschützt.

Nach der nächsten Verpflegungsstelle ging es nun ausschließlich bergab nach Frankfurt, um dann, nach durchfahren der Wechselzone, in die zweite Runde zu gehen.

Kay beendete die 180 km in 5:51:30 Std. , Andrea erreichte die Wechselzone am Römerberg in 6:37:34 Std. Die netten HelferInnen nahmen einem die Räder entgegen, und gaben uns die Wechselbeutel, sie halfen auch die abgelegten Sachen wieder zu verstauen. Der Wechsel vom Rad zum Laufen lief bei uns beiden absolut reibungslos. Kay ging nach 2:45 Min. und Andrea in 3:51 Min. auf die Marathonstrecke.

Die Beine sind noch verhältnismäßig locker, der Kopf noch klar und die Stimmung ist bestens. Was sollte auch noch passieren? „Jetzt kommt nur noch der Marathon und davon sind wir im diesem und im letzten Jahr genügend gelaufen“. „Den schaffen wir auch noch wenn man uns mitten in der Nacht weckt, ein Bein an einem Heizkörper festbindet und wir vor dem Lauf noch fünf Stücke Käsesahnetorte essen“.

DACHTEN WIR, aber:
1. Ein IRONMAN fängt erst nach dem Radfahren an, alles andere ist Kindergeburtstag
2. Rechne niemals deine Marathonzeit hoch
3. Ein Marathon tut weh und kann länger dauern als zwei Teile von „Herr der Ringe“

Kay lief die ersten Kilometer verhalten an. Der Schnitt pendelte zwischen 5:30 und 6:00 min/km. Bereits hier merkte Kay jedoch, dass sich in seinem Magen ein großer, klebriger Klumpen gebildet hat, der mit jedem Schritt wie in einer Waschmaschine durchgeschleudert wurde. Es dauerte nicht lange und er bekam massive Magenprobleme. Permanent unterdrückte er den Brechreiz. In der Nähe der Opelmeile sitzt ein Athlet auf einer Parkbank, andere gehen. Kay schleppt sich mühsam über die Strecke, erst gehend dann wieder langsam laufend.

Andrea ging es lange Zeit besser und sie „spulte“ immer noch lächelnd, km für km gleichmäßig ab, bis es auch sie ab etwa km 30 erwischte und auch sie immer wieder Gehpausen einlegen musste. Zeitweise war einem der Trubel aber auch zu viel und man sehnte sich nach ein wenig Ruhe.

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Nach etwa 35 km hat man endlich drei Bänder am Arm; Schwarz-Rot-Gold, jede Runde gab es eines davon. Irgendwann wurde einem bewusst, dass man nur noch 2 Kilometer zu laufen hat. Die wissen es auch. Die sind die Zuschauer, die einen anfeuern, antreiben und wieder in die Realität helfen. Die Realität es zu schaffen, es doch zu beenden und zu bestehen. Dann hat man diesen magischen Wendepunkt der Weseler-Werft hinter sich gelassen und man hört die Musik vom Frankfurter Römer. Auf der Steigung des Römers spürt man keine Schmerzen mehr und 300 Meter vor dem Ziel haben uns unsere Familien und Freunde nochmals den letzten Auftrieb gegeben. Kay beendete seinen längsten Tag in 12:23:31 und Andrea lief Hand in Hand mit Ihrer Tochter Natascha nach 13:25:30 lächelnd ins Ziel.

 

Fotos: Natascha Sambach und Helmut Spamer