Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

IRONMAN Frankfurt

6. IRONMAN

 

Es ist mal wieder spät geworden. Die Sonne brennt sich gnadenlos durch mein Bürofenster. Die meisten Kollegen sind schon auf dem Weg nach Hause oder zum Baggersee. Als Triathlonrentner frage ich mich, ob es beim IRONMAN am Sonntag möglicherweise wieder so warm werden würde wie 2006 und 2010. Denn bei einer Wassertemperatur von 24,5 Grad ist der, besonders für mittelmäßige Schwimmer, so hilfreiche Ganzkörperanzug verboten. Google zeigt mir am Montagabend 18,5 Grad Wassertemperatur für den Langener Waldsee an. Sollte es die nächsten Tage so warm bleiben, dann könnte es in der 14jährigen Frankfurt-IRONMAN-Geschichte das dritte Mal vorkommen, dass ein  Neoprenverbot vom Veranstalter ausgesprochen wird. Ich bin zufrieden, mir darüber keine Gedanken machen zu müssen. Dennoch interessiert mich die Starterliste. Rot sticht mir der Button: „Race ist closed“ entgegen. Man muss wissen, Frankfurt ist, gleich nach Hawaii, das begehrteste IRONMAN Rennen weltweit. Wer hier starten will, sollte sich mit der Anmeldung beeilen. Die über 500 EURO teuren Startplätze sind bereits ein Jahr im Voraus ausgebucht. Eine Information auf der Internetseite fällt mir auf: „PHA Europe Charity Entries“. Interessiert lese ich weiter.

 

 

„Pulmonale arterielle Hypertonie (PAH) ist eine seltene Lungenerkrankung, die tötet!“. Weiter heißt es da: Diese Krankheit ist schwer zu diagnostizieren und für die Betroffenen ist das Leben eine Qual. Sie leiden unter Atemnot und unter schweren körperlichen Einschränkungen. Selbst die kürzesten Wege und der Alltag können kaum noch bewältigt werden. Für sie, so heißt es, ist jeder Tag ein IRONMAN. Wie bei vielen chronischen Erkrankungen ist eine dauerhafte Heilung nicht möglich. Medikamente verbessern die Situation kurzzeitig, dennoch verbleiben nur noch eine Lungentransplantation als letzte Option. Sofort fühle ich mich angesprochen.

Ein Gedanke ist schnell gedacht. Ein Gedanke kommt und wird von einem neuen Gedanken abgelöst. Ich denke ständig, ohne dass ich aktiv etwas dafür tue. Das Denken macht sich selbstständig. Wie mich auch am Dienstag und Mittwoch die Idee, vielleicht für PHA starten zu wollen, nicht loslässt, überlege ich, ob ich eine E-Mail an „PHA Europe“ senden soll. Ich verwerfe den Gedanken in der nächsten Sekunde – muss Wohltätigkeit denn wirklich wehtun?

Am Mittwochnachmittag endlich, sende ich die E-Mail ab. Schon zwei Stunden später erhalte ich die ungeahnte Antwort in mein Postfach. Damit hatte ich nicht gerechnet. Was habe ich denn erwartet? Bestimmt nicht das: „Wir freuen uns, dass du für PHA starten möchtest, deine Unterlagen….“. Mich katapultiert es fast vom Sofa. Willkommen im Chaos der Gefühle! Was habe ich getan? Wie unbegreiflich ist das denn! Es dauert Minuten bis ich zur Fassung gelange, der Familienrat ist eilig eingeschaltet. Ich weiß was es heißt, von jetzt auf gleich mit einer schlechten Krankheitsdiagnose konfrontiert zu werden. Wie sich mit einem Schlag auf den anderen das eigentlich anders geplante Leben verändert. Wie schnell dein Leben auf den Kopf gestellt wird und welche Kräfte künftig nötig sind, um stark zu bleiben und durchzuhalten. So nehme ich diese ungeahnt kurzfristige Angebot zur Teilnahme am IRONMAN an und unterstütze damit PHA, um diese zerstörende Krankheit in das Bewusstsein der Menschen zu bringen.

Seit dem Eintreffen der E-Mail wird mein Kopf mit Gedanken bombardiert; sie lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Mitten in der Nacht schrecke ich auf, dämmere wieder weg. Früh am Morgen bin ich schon wieder wach – Stunden, bevor der Wecker klingelt. Ist es überhaupt denkbar, ohne entsprechende Vorbereitung die Herausforderung eines IRONMAN anzunehmen? Der IRONMAN 2013 im kalifornischen Lake Tahoe zu meinem 50. Geburtstag sollte mein letzter sein. Das Training war mir verhasst. Jeder Schwimm-, Rad- und Laufkilometer wurde mit denen aus dem Vorjahr verglichen. Ständig das Gefühl zu wenig zu tun. So vergingen die Monate mit arbeiten, trainieren, essen und schlafen. Familie und Freunde wurden auf Sparflamme gehalten. Das hat sich seit Anfang 2014 verändert. Versteht mich nicht falsch, ich trainiere immer für irgendetwas, wenn auch überwiegend laufend. Meinen zehn Kilometer entfernten Arbeitsplatz erreiche ich meist mit dem Mountainbike, im Sommer wie auch im Winter. Seit einigen Wochen habe ich meine Liebe zum Skating wiederentdeckt. Denn mein Jahreshighlight sollte der Megathlon Ende Juli am Bodensee werden. Dort gilt es fünf Disziplinen (Schwimmen, Rennrad, Skaten Mountainbiken und Laufen) wenn auch auf kürzeren Strecken hintereinander zu bewältigen. Und plötzlich sollte ein zweites Jahreshighlight dazukommen? Zum Schwimmen kam ich leider nicht, oder wollte ich nicht? Zumindest musste ich ausprobieren, ob ich in meinen Neoprenanzug überhaupt noch hineinpasse. Eine kleine Runde auf dem Bodensee. Das war’s dann aber auch schon. Würde ich es unter diesen Voraussetzungen schaffen können, den IRONMAN bis zum Zielschluss in 15 Stunden zu finishen?

Die Voraussetzungen sind alles andere als ideal

Während die Teilnehmer hunderte von Schwimm- und tausende von Rad- und Laufkilometern in den Beinen haben und ihr Training nun planmäßig drosseln, andere sich vielleicht auch schon auf der Anreise nach Frankfurt befinden, trainierte ich ein verlängertes Wochenende ausgiebig und hart für den anstehenden Megathlon. Als ob das nicht schon reicht und die Oberschenkel von den letzten Tagen nicht schon „dick“ genug wären, tobe ich mich am Dienstag bei den  Tuesday Night Skatern mit 105 Millimeterrollen auf einer 38 Kilometer langen Strecke durch die Innenstadt von Frankfurt gleich nochmal so richtig aus. Als ich dabei einen Teil der Rennstrecke des IRONMAN kreuze – auf der auch schon die ersten Zelte gestellt werden – konnte ich nun wirklich noch nicht ahnen, genau hier fünf Tage später meine letzten Meter zum 6. IRONMAN Finish erleben zu dürfen.

Donnerstag

Die Aufregung im Büro ist groß als ich versuche zu erklären, warum ich so kurzfristig am Freitag und Montag Urlaub benötige. Gegen 16:30 Uhr endet mein Arbeitstag, keine halbe Stunde später parke ich mein Auto in Frankfurt. Von weitem erkenne ich bereits die Verkaufsstände und das Zelt von PHA. Dort bin ich gleich verabredet und dort werde  ich gleich mein PHA-Race-Trikot bekommen und anschließend meine Startnummer abholen können. Man begrüßt mich herzlich, schnell bin ich neu eingekleidet und werde interviewt.

IRONMAN Frankfurt 2015

Ich spüre, ich tue genau das Richtige und es fühlt sich gut an. Zur Teilnahme am Sonntag fehlt mir jetzt nur noch die Startnummer. Gleich würde man mir das Plastikbändchen um den Arm legen, welches mich für die nächsten Tage als Teilnehmer ausweist. Unsanft lande ich auf dem harten Boden der Realität. „Es tut uns leid, aber so kurzfristig können wir keine Startnummern mehr rausgeben, dies hätte spätestens fünf Tage vorher passieren müssen!“ WAS? Willkommen zurück im Chaos der Gefühle!

Vielleicht war die Idee so kurzfristig starten zu wollen ja aber auch wirklich eine Schnapsidee, versuche ich mich zu trösten, vielleicht soll es einfach so sein? Aber nein, sagt eine innere Stimme in mir, finde dich nicht einfach damit ab! Und als ob es so sein sollte, laufe ich Pascal in die Arme. Er war zu meinen Triathlon-Anfängen beim IRONMAN-Trainingslager auf Mallorca mein Rad-Guide. Noch heute klingen mir seine Worte in den Ohren: „Andrea, auf dem Rad musst du noch viel tun!“

In meiner Verzweiflung schildere ich ihm die abstruse Situation, erkläre ihm, warum und dass ich für PHA starten wolle. Dank seiner heutigen Funktion als Renndirektor, wird mir kurz darauf nun doch noch das hellblaue Plastikbändchen mit der hohen Startnummer um das Handgelenk gelegt.

Freitag

An meinem Rennrad ist noch die Startnummer von Lake Tahoe befestigt, in einem  Behälter am Rad finde ich das zerknüllte, verschwitzte und dort vergessene Langarmshirt (es herrschten Minustemperaturen) welches ich bei diesem Rennen trug. Wenn ich schon keinen Renn-Boliden besitze, dann soll mein treues altes Rad wenigstens blitzblank sein. Mit dem Wasserschlauch spritze ich den letzten Rest kalifornischen Staubs vom Rahmen. Niemals hätte ich vermutet nochmals eine IRONMAN Startnummer an ihm zu befestigen. Wie wird es sich anfühlen, 180 Kilometer auf dem schmalen und harten Sattel zu sitzen, wenn die Handgelenke und das Genick schmerzen und die Schultern vom fehlenden Schwimmtraining bleiern an mir hängen? Die größte Herausforderung so scheint es momentan, würde es sein, die vorhergesagte Rekordhitze zu überstehen. Ist nicht allein ein IRONMAN schon eine abgefahrene Ausdauergeschichte? Schon übermorgen sollte ich es erfahren.

Samstag

Jetzt ist der Tag der Radabgabe am Langener Waldsee. Zuvor müssen jedoch die benötigte Ausrüstung in den entsprechenden blauen, roten und dem weißen Plastikbeutel für die beiden Wechselzonen und der Wechselkleidung später im Ziel, verpackt werden. Ich krame meine Schwimmsachen zusammen. Die hellblaue Badekappe ist Pflicht und wurde vom Veranstalter gestellt. Sie weist mich aus, zu welcher Starterwelle ich am Sonntag gehören werde. Und tatsächlich, viel mehr benötige ich diesmal nicht.  Denn infolge des Neoverbotes beschränkt sich meine Ausstattung weiter nur noch auf das Augenplastik. Ach du lieber Himmel! Welche der vielen hell- bis dunkelgetönten Schwimmbrillen, die ich vorsichtshalber nie wegwerfe, war die, die am besten und dichtesten sitzt? Inzwischen befinden sich mehr als ein halbes Dutzend unterschiedlicher Modelle in meiner Sporttasche. Es bleibt mir keine Zeit zum Experimentieren. Ich greife zu. Da, die kleine dunkle, die soll es jetzt sein. Nun sichte ich die Laufsocken und Laufschuhe. Auch hier fällt die Wahl in Form des Ausschlussverfahrens. Winter- und Trailschuhe fallen raus. Die leichten Blauen da! Die sind noch gut und passen wie praktisch auch zum Trikot. Sonnenschutz und ein Gel in die Tüte und ich bin fertig. Jetzt auf zum Rad-Check-In. Im weiteren Umkreis des Badesees sind alle Parkplätze belegt und vor der Einfahrt ist ein Horrorstau. Am Badestrand spült es Welten zusammen. Super-durchtrainierte Sportler und  jugendlich-pralle Superbäuche. Warum soll man sich auch mit einem Sixpack begnügen, wenn man doch ein ganzes Fass haben kann? Die Hitze macht sichtbar, was man lieber nicht gesehen hätte.

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Der Rad-Check-in ist unkompliziert. Der Wechselbeutel für den Schwimm-Rad-Wechsel ist sofort am Harken aufgehängt und der Beutel für den Rad-Lauf-Wechsel abgeliefert. Gemeinsam mit meinem greisenhaften Rennrad werde ich am Eingang fotografiert. Dies soll ausschließen, dass womöglich ein scharfes Carbon-Leichtgewicht gegen meine antiquarische Rarität vertauscht werden könnte. Die Formalitäten sind abgeschlossen, jetzt kann ich mich frei in der Wechselzone fortbewegen. Zwei Stunden und etliche Schweißperlen später bin ich schließlich Zuhause. Ab 22 Uhr heißt es Schlummern im Schnelldurchlauf.

Sonntag 4 Uhr:

Vor dem Haus ist alles still! Was für ein besonderer und seltener Moment. Noch kein Vogelgezwitscher und noch kein Fluglärm. Aah, wie wunderbar! Ich fühle nicht einmal mehr die Herzrhythmusstörungen, die mich seit einigen Jahren nächtlich und täglich belästigen.

Frühstückshunger um die Uhrzeit? Fehlanzeige. Dessen ungeachtet muss der Magen aber möglichst einigermaßen gefüllt werden. Ich vertraue, wie immer bei Wettkämpfen, auf zwei Eszett-Schnitten-Brote, zwei Tassen Kaffee und einer Salztablette. Ich fühle, dass heute etwas anders ist als bei meinen fünf vorherigen IRONMAN-Teilnahmen. Ich bin nicht beunruhigt, im Gegenteil, ich freue mich auf das Experiment und das trotz vorhergesagter Hitzerekordtemperaturen. Oder vielleicht gerade deswegen? Zu gut ist mir noch der Morgen vor dem Start beim IRONMAN in Lake Tahoe mit den verschneiten Bergketten der Sierra Nevada in Erinnerung geblieben. Dort zeigte  das Thermometer gerade einmal zwei Grad unter null an und ich musste meinen Neo im Hotelzimmer anziehen.

Pre-Start

Um an den Start zu kommen entscheiden wir uns, mit dem Auto und dem Mountainbike im Kofferraum bis auf den Parkplatz vor meinem Büro zu fahren. Mein Arbeitsplatz befindet sich idealerweise knapp vier Kilometer vom Langener Waldsee entfernt. Einige Athleten nutzen diese freien Plätze ebenfalls und haben dort ihre Camper aufgebaut. Während ich mit Kay’s schwerer Fotoausrüstung auf dem Buckel durch die schon warme Morgenluft radle, joggt Kay mit der unhandlichen Luftpumpe in der Hand neben mir her. Im Wald müssen wir immer wieder mal einem der Sonderbusse ausweichen. Die VIP’s und Profitriathleten haben es da schon weitaus bequemer.

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Das Erste, was zu tun ist, wenn man an die für Athleten abgesperrte Wechselzone betritt, ist nach seinem gestern hier abgestellten Rad schauen. Wegen der Hitze lies ich aus den Reifen Luft ab, die jetzt wieder rein muss. Kay reicht mir die Standpumpe über den hohen Zaun. Minuten vergehen bis endlich 8 Bar in meinem Vorderreifen sind. Weitere anstrengende und schwitzende Minuten später ist auch der Hinterreifen prall. Dann der Schock: Das hätte nicht passieren sollen. Das klitzekleine Ventilschräubchen fällt im Moment des Abziehens der Pumpe in einen Blätterberg. Wie finde ich das kleine Ding bloß wieder? Der Stimmungsdämpfer sorgt für Spekulationen… Komme ich denn auch ohne über die Runden? Und was, wenn mein Reifen Luft verliert und ich nachpumpen müsste? Was kann ich tun? Jetzt nichts mehr. Mir bleibt nur zu hoffen, dass es gut gehen wird. Schon kommt die nächste Gelegenheit, Gelassenheit zu lernen, davon würde es noch einige geben an diesem Tag.

Letzte Motivationsküsse am Absperrgitter

Der letzte Weg eines jeden Athleten ist der zur Toilette und vor so einem Dixi befinde ich mich jetzt. Die Sonne kommt gerade über den Horizont, wie die deutsche Nationalhymne ertönt. Mit dem letzten Ton fällt der Startschuss: Die Profis sind gestartet; zwanzig Minuten vor dem Hauptfeld. Da stehe ich nun und komme nicht weiter und dabei ist mein Startschuss zum Greifen nahe. Endlich bin auch ich bereit für den längsten (sportlichen) und heißesten Tag des Jahres 2015.

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2650 Athleten und mindestens genauso viele Zuschauer stehen erwartungsvoll am Badestrand. Ich bin so gelassen, dass ich beinahe selbst vor mir erschrecke. Was wird mich erwarten? Wie wird es sich anfühlen? Dabei wollte ich bis vor ein paar Tagen hier doch auch nur zuschauen. Bei genauer Betrachtung böte sich durchaus Anlass, nachdenklich zu werden. Ich nehme es gelassen; freue umso mehr, inmitten der Teilnehmer und Zuschauer auch bekannte Gesichter zu entdecken. Die meisten unter ihnen sind überrascht mich hier zu sehen. Erklärungsnot? Keine Zeit für Erklärungsversuche, denn schon schiebt sich die Masse der hellblauen Badekappenträger hinunter ins Wasser. Das Rennen hat begonnen und meine Zeit läuft jetzt.

3,8 Kilometer Schwimmen

Ohne weiter darüber nachzudenken tauche ich ein und unter. Gott sei Dank, die Brille sitzt. Das Wasser ist warm, auffallend warm. Der mineralstoffreiche Urin der Athleten die es nicht mehr auf das Dixi geschafft haben, erwärmt den ohnehin schon 26,8 Grad erhitzten See noch zusätzlich auf Temperaturen wie in der ‚Kailua Bay‘ im Oktober. Bis zu welcher Temperatur ein Neoprenanzug getragen werden darf hängt übrigens von der Distanz ab. Bei Langdistanz IRONMAN Veranstaltungen gilt dies ab 24,5°. Für einen Neoprenanzug ist es wirklich viel zu warm. Unter anderen Umständen würde vieles für einen Neoprenanzug sprechen – besonders für schlechte Schwimmer.

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Das Strandbad Langener Waldsee wird zur Waschmaschine und diese befindet sich gerade im Schleudergang – mein einziger Gedanke: bloß nicht in den Strudel geraten. Denn ich sollte sehr mit meinen Kräften „haushalten“. So  versuche ich krampfhaft entspannt und ruhig zu Kraulen,  versuche hektische Bewegungen durch Aufregung zu vermeiden. Da hilft die 3er Atmung. D. h. man atmet nicht bei jedem Armzug, sondern nur nach jedem dritten. Die Beine ziehe ich einfach schlaff hinter mir her. Im Gegensatz zu M. Phelps der kerzengerade im Wasser liegt und dessen Arme eine rotierende Scheibe bilden, hängen meine Beine bewusst unmotiviert nach unten ab. Fische könnten sie als Köder verwechseln. Das macht allerdings langsam und kostet Kraft. Kraft die auf dem Rad und später für das Laufen noch benötigt wird. Rund 20 Minuten mehr Zeit müssen Laienschwimmer wie ich ohne Neopren einplanen. Mein zusätzliches Problem: Zwischen meinem letzten Freiwasserschwimmen ohne Neopren und heute liegen knapp zwei Jahre.

Eins, zwei drei. Eins, zwei, drei, kraule ich jetzt gleichmäßig im dreiviertel Takt bis ich fast auf einen vor mir schwimmenden Athleten drauf schwimme. Der Sand im Wasser ist so aufgewühlt, dass ich die tätowierten Waden des vor mir verzweifelt paddelnden Teilnehmers erst jetzt erkenne. Ähnlich wie beim Radfahren würde ich gerne den Windschatten-Effekt, der sich mir nun bietet ausnutzen um ein wenig zügiger aber dennoch kraftsparender Meter zu machen. Meine dunkelgetönte Schwimmbrille schützt mich nicht vor dem Anblick der rotgelben Flammen die förmlich aus den Fußgelenken eines vor mir schwimmenden Athleten großflächig über seine glattrasierten Waden züngeln. Bei einem anderen wiederum blinkt mir das strahlend rote M mit dem Dot obendrauf von seinen muskulösen Unterschenkeln entgegen. Das sieht man häufig. Dabei käme doch niemand auf die Idee sich, das strahlend rote S mit dem Dot obendrauf der Sparkasse auf die Beine stechen zu lassen, oder vielleicht doch? Wow, was für Kerle. Ich ahne, dass genau die gleichen Typen, an denen ich mich jetzt vorbei quetsche, mich später mit ihren Rennboiliden und ihrer Airotüte auf dem Kopf an mir vorbeibrettern werden. Tja, Jungs, vielleicht solltet ihr nicht nur in das Angeber-Equipment sondern auch in euer Schwimmtraining investieren. Ich fokussiere mich auf das was zählt und das ist im Moment Schwimmen!  Noch verbanne ich die Gedanken an die erste Wechselzone, die steigenden Temperaturen und die Wege die vor mir liegen. Immer wieder sucht mein Blick die optimale Strecke bis zur nächsten gelben Markierungsboje. An der Wendeboje wird es unangenehm eng. Einige halten sich fest und schnaufen panisch erstmal durch. Schon fünf, sechs Schwimmzüge später ist die Situation wieder deutlich entspannter. Weiter draußen wird das Wasser kühler, angenehm kühl, eine Alge verfängt sich in meiner Hand. Bald höre ich die laute Moderatorenstimme die vom Stand über den See schallt. Mit den nächsten Zügen schlage ich kräftig mit den Beinen um wieder Gefühl in sie zu bekommen und vielleicht sogar den Schwindel, der durch den Wechsel vom Schwimmen zum Laufen hervorgerufen wird, zu übergehen.

Landgang

Mit einer kleinen Gruppe verlasse ich für einen kurzen Landgang das Wasser – Außenseiter im Rampenlicht. Endorphin, Dopamin und Adrenalin alles strömt durch meinen Körper. Manche Zuschauer und Fotografen stehen bis zur Hüfte im Wasser und feuern uns aufhetzend an. Ich übe Gelassenheit; wage nicht meine bis jetzt gut sitzende Schwimmbrille abzunehmen und tappe daher fast blind durch den abgesperrten schmalen Weg zurück in den warmen See.

Auch wenn ich nicht viel erkenne, so spüre ich doch noch einige hellblaue Badekappen hinter mir. Das gibt Vortrieb, das motiviert. Nicht übermütig werden, ermahne ich mich, noch liegen 2,1 Kilometer und einige Bojen vor mir. So langsam wie ich mich bewege, so langsam beginne ich zu realisieren, dass ich es tatsächlich schaffe.

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Nach 1:50 Std. komme ich aus dem Wasser. 2:20 Std. hätten mir zu Verfügung gestanden. Befreiend reiße ich mir, die mich zum Schluss doch drückende Brille vom Kopf und erkenne Natascha.

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Enthusiastisch rufe ich: „3,8 Kilometer einfach mal so, unglaublich“! Klar, ich war auch schon mal schneller, aber ich spüre schon, heute wird ein guter wenn auch langer Tag.

Erste Wechselzone

Jetzt zeigt es sich, ob ich mir den Platz am Ständer mit meinem ersten Wechselbeutel merken konnte. Zielsicher greife ich zu und laufe in das große Zelt zum Umziehen. Die sandigen Füße spüle ich mir mit Wasser ab, welches ich vorsorglich in einer Radflasche im Beutel mitabgegeben hatte. Barfuß steige ich in meine Radschuhe, ziehe das PHA-Trikot über mein nasses Sportoberteil, schlüpfe in die Radhandschuhe. Auf meinen Kopf stülpe ich noch das weiße Buff-Tuch, zum Schutz vor einem Sonnenstich. Jetzt noch Brille und Helm auf und schon laufe ich aus dem Zelt raus zu meinem Rad.

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Vom Schwimmausstieg bis zum Einklicken meiner Radschuhe in die Pedale habe ich sieben Minuten benötigt.

Rad

Die Radstrecke ist bereits um 9.00 Uhr ein Backofen. Heute sind zwar viele IRONMAN auf der Strecke, aber bei großer Hitze biegt sich sogar harter Stahl. Noch immer stehen hunderte Fans Spalier. Ich unterquere die Brücke auf der ich oft in meiner Mittagspause unterwegs bin. Auf der B44 rollt es 13 Kilometer auf flachem Terrain Richtung Frankfurt. Erster Riegel! Schwimmen macht hungrig und es ist höchste Zeit für ein zweites Frühstück. Mein Frühstücksbuffet befindet sich in dem winzigen Radtäschchen, welches an meinem Rahmen befestigt ist. Anstelle eines leckeren Kaffeestückchens, schiebe ich mir das Powerbar „Cookies and Cream“ in die Backentaschen und spüle diesen mit großen Schlucke isotonischem Getränk hinterher. Die Ernährung verliere ich während des ganzen Rennens nicht aus den Augen.

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Die Kohlenhydrate nehme ich durch Energie Riegel und Gel sowie isotonische Getränke und verdünntes Cola auf und das langweilige Wasser wird mit Kochsalz gewürzt. Bereits 2006 gab es einen heißen IRONMAN, schon damals mussten sich viele Teilnehmer wegen Erschöpfung, Übelkeit, Erbrechen oder dem „Salzverlustsyndrom“ behandeln lassen. Dass das sogar lebensbedrohlich werden kann erlebte damals eine 44-Jährige Frau, die nach ihrem Zieleinlauf für Tage im Koma lag und der tragische Todesfall eines 40jährigen in diesem Jahr. Beide hatten sie sich ausschließlich mit Leitungswasser versorgt. Als Ausdauersportler hätten sie es wissen müssen: die Emese körperliche Anstrengung in der Hitze spült auch die letzten lebensnotwendigen Mineralien und Salze aus dem Körper.

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Der Beginn der Radstrecke verläuft wie gewohnt hektisch. Immer wieder komme ich mit einem anderen Athleten in Bedrängnis. Er ruft zu mir rüber: „Das kann ja heute lustig  mit uns werden“. Zwei drei kräftige Tritte in die Pedale und ich wäre weg. Das würde ich normalerweise tun – aber was ich hier mache ist nicht normal. Normalerweise ist es mir auch nicht egal, wenn mir Typen mit dicken Wampen oder tätowierten IM-Waden um die Ohren fahren. Trotz oder gerade wegen der Brutalität der Hitze erlebe ich eine Art von Wohlfühlegoismus. Ich muss mich immer wieder einbremsen, schließlich liegen untrainierte 180 Kilometer und 1000 HM vor mir. Die Radstrecke in Frankfurt ist ein Rundkurs mit je 90 km Länge, der zweimal gefahren wird. Da Windschattenfahren verboten ist und die Abstände eingehalten werden müssen, haben zwei gleich starke Radfahrer da wirklich ein Problem. Dass das Verbot auch eingehalten wird, dafür sorgen die vielen Referees auf ihren Motorrädern, die immer und überall lauern und sozusagen auf ihre Beute warten.  Ungeachtet dessen sind wir aber heute die Könige der Straße. Wir rasen kreuz und quer durch die Stadt und über das Land, ohne geregelte Kreuzungen und der leidigen Vorfahrtsregelung. Rote Ampeln oder Rechts vor Links? Heute scheiß…egal! Überholen und Beschleunigen. Es ist ein Geschwindigkeitsrausch der die Angst und Lust vereint. Für Adrenalinschübe sorgen die vielen unvermittelt auftauchenden Schlaglöcher auf der Hanauer Landstraße, sie war schon immer eine der kariösesten Straßen Frankfurts. Schon erreiche ich Fechenheim und rechts die Wasserskistrecke Frankfurts. Von dem Sonnendeck unseres Motorboots aus betrachtete ich die IRONMAN-Premiere vor vierzehn Jahren. Schon damals führte die Strecke hier vorbei. „Nicht auszuhalten“, dachte ich damals, „das tun sich nur Verrückte an.“

Auch jetzt gleitet ein schnittiges Motorboot schnell über den Main, der zum Hineinspringen schön in der Sonne funkelt. Wollte ich tauschen? Nein, ich würde nur zu gerne in das erfrischende Nass springen wollen. Doch die Realität ist hartherziger. Ein langer und in der prallen Sonne liegender Anstieg hoch nach Bergen Enkheim liegt vor mir. Zuschauer sind wenige auf der Straße. Dass sich die Menschen heute nicht besonders gern ins Freie wagen, hat allerdings einen guten Grund: das Thermometer hat die vierzig Grad erreicht. Da verkriecht sich der moderne Stadtbewohner verständlicherweise am liebsten in seine Wohnung oder ins klimatisierte Auto. Die klimatisierten Limousinen stauen sich und strahlen eine unangenehme zusätzliche Hitze aus. Die Luft ist abscheulich, der Asphalt flirrt. Erst in der Peripherie verliert sich der Smog des südhessischen Ballungszentrums und die Luft wird deutlich angenehmer. Weiter führt die Strecke über einen sanft gewellten Flickenteppich aus Dörfern, Wiesen, Äckern. Ich denke an meine Familie, die irgendwo hier in der Hitze an der Strecke auf mich wartet und die über eine IPhone-App mein Vorankommen verfolgt oder auf die nächste Zwischenzeit wartet. Nach einer kurzen Abfahrt, bin ich in „the Hell“. Meine Reifen prügeln sich mit dem Kopfsteinpflaster der engen Gasse während mein Körper es ausbaden darf und kräftig durchgerüttelt wird. Die Arme ziehen verzweifelt am Lenker um die nach einer Pause bettelnden Beine zu entlasten.

Auf der nächsten Abfahrt lasse ich es rollen, ohne mitzutreten. Der Tacho zeigt 69 km/h Geniale, geschenkte Kilometer. Das ändert sich mit der zweiten Radrunde. Nicht überraschend zeigt kurz darauf der Tacho 12 km/h an und das ohne Berg! Wie ein gewaltiger Fön, der prinzipiell immer gegen mich gerichtet ist, verhindert er ein leichtes Vorankommen, obwohl die Straße hier gar nicht so steil ist und man den Eindruck hat, viel schneller fahren zu können. Das erinnert mich an das Cape Argus Race 2008 in Südafrika. Trotz Aerohaltung fällt es mir schwer, die Geschwindigkeit zu halten und ich gehe aus der Aeropostion um den Rücken und die Handgelenke zu entlasten und zu dehnen, aber auch mein Hinterteil freut sich über eine kleine Pause. Langsam ziehen sich die Radkilometer dahin und die Hitze tut ihr Übriges.

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An einem Baum kauert ein erschöpfter Athlet, der mit stummer Würde sein Schicksal erträgt. Für ihn ist das Rennen hier vorbei.

Da plötzlich nehme ich das Dröhnen von Motorrädern und ein schrappendes Wummern hinter mir wahr. In diesem Moment für mich das schlimmste Geräusch der Welt. 20 Meter, zehn Meter, fünf Meter – vorbei; Jan Frodeno fliegt in Richtung Europameistertitel, während ich mit meinem Rad regelrecht auf dem kochend heißen Asphalt klebe. In der Vergangenheit wurde ich nie überrundet und das schmerzt für einen kurzen Moment. Die Sonne brennt erbarmungslos auf Helm und Rücken. Der Schweiß tropft auf meine Schenkel. Selbst die Teerfüllungen haben ihre Fugen im Beton verlassen und kriechen nun als Blindschleichen umher. Die Fahrt durch die offenen Felder zwingt mich, ständig meine Wasservorräte aufzurüsten. Malzbier! Malzbier-Fantasien. Ich weiß, dass ich  bald an einer großen Tankstelle vorbeikomme. Wie wäre es jetzt, abzubiegen, anzuhalten, abzusteigen, einzutreten und einzukaufen? Ein eiskaltes Malzbier. Ich spüre den malzigen Geschmack auf meinem Gaumen – ich habe kein Geld dabei.

Trotzdem kann auch ich noch Altersklassenkonkurrentinnen überholen. Nicht ganz fair, denn im Gegensatz zu ihrer Startnummer ist auf meiner Nachmeldenummer weder der Name, die Altersklasse oder die Nation aufgedruckt. Auch den berüchtigten Anstieg „Heartbreak Hill“ gehe ich auf beiden Runden gelassen an. Die IRONMAN-Radstrecke kenne ich zum Glück schon zu Genüge. So weiß ich genau wo und wann ich am besten in welchen Gang fahre. Wann ich aus dem Sattel gehe und wo der Anstieg endet. Seit Jahren trage ich keinen Pulsmesser mehr, höre auf meinen Körper und seinen Signalen.

Zweite Wechselzone

Nach sieben Stunden Radfahren, nur noch eine letzte Kurve und die Wechselzone am Main taucht in der flirrenden Hitze auf. Es ist später Nachmittag. Tagesausflügler winken von den Verkehrsschiffen während viele Athleten seit Stunden Runde um Runde schwitzend am Mainufer drehen.

Zigmal habe ich im Laufe des Tages mit meinem Rad gesprochen. Nun wird mir ein treuer Gefährte der letzten Stunden regelrecht aus der Hand entrissen. Er hat seinen Dienst zum sechsten Mal ohne Panne getan. Jetzt bringt eine Helferin mein Rad in die Wechselzone, wo ich es später wieder abholen werde.

Mein Blick wandert über die doch vielen noch hängenden Beutel vor dem Wechselzelt. Freundlich bekomme ich meinen rasch in die Hand gedrückt und laufe ins Wechselzelt. Ich setze mich auf die Festzeltgarnitur und beobachte für einen Moment das geschäftige Treiben. Ein Gemisch aus Schweiß und Sonnenmilch strömt in meine Nase. Ich schüttel meinen Beutel vor mir aus, genieße für einen kurzen Augenblick die willkommene Erholung und die Ruhe. Die Socken, Laufschuhe und ein Kaugummi purzeln auf den ausgelegten Zeltboden. Ich schiebe die Sonnenbrille auf meinen Kopf. Energisch zupfe ich an meinem Trikot und wage den ersten Schritt auf die 42 Kilometer lange Laufstrecke entlang der Frankfurter Uferpromenade. An den ersten Wasser- und Verpflegungsstationen gehe ich vorbei. Mein praller Wasserbauch blubbert und gluckst aber meine Haut giert nach jedem Wassertropfen den sie kriegen kann.

Laufen – Am Rande der Erschöpfung-

Die ersten Meter vom Rad im Übergang zum Laufen fühlen sich unrund aber gut an. Immerhin habe ich 180 Kilometer geschafft! Glaubt man das? Mir ist klar, mehr als ein Sonntagsspaziergang wird das heute nicht werden. Mit einem festen Plan und ganz im Geist des klassischen Flaneurs habe ich mir bereits schon eine Laufstrategie zu Recht gelegt. Wie schnell müsste ich gehen, wenn ich nicht laufen will und, was viel wichtiger ist, kann das funktionieren? So walke ich mit erstaunlich kräftigen Schritten schon mal die ersten 7 Kilometer. Dennoch, walken erfordert Geduld.

Helfer und Zuschauer sorgen schon seit Stunden für eine unglaubliche Stimmung. Ich lasse mich nicht ablenken, konzentriere mich auf meinen eigenen langen Weg. Kurz nach der Wechselzone warten meine Familie und Freunde schon auf mich. Was für ein schöner Augenblick und das nicht nur weil ich jetzt bekomme, was ich schon seit Stunden wollte: „Espresso!“ und kurz darauf: „Malzbier!“. Das nenne ich mal eine Slow-Food-Bewegung.

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Das Zelt mit dem aufblasbaren PHA-Bogen spannt sich über die Laufstrecke und ist schon von weitem gut zu erkennen. Kay winkt mir entgegen, er wartet schon auf mich. Mit einem Satz hebt er mich in die Höhe und ich bimmle kräftig die an dem Bogen befestigte Glocke. Denn mit jedem Ton erhält die PHA-Charity-Stiftung eine Spendensumme. Andere Läufer tun es mir nach.

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Entlang des Sachsenhäuser Ufers ist es unerträglich heiß. Jeder Meter bis zum Halbmarathon wird hart ergangen und zieht sich quälend dahin. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch und verspricht ein erfrischendes Gewitter, das heute allerdings ausbleibt. Nun nehme ich an jeder Verpflegungsstation Wasser mit, trinke, tausche Schwämme und versuche meine Temperatur zu regulieren.

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Das Licht des Nachmittags lässt die Frankfurter Skyline prachtvoll glänzen, wo sich vor ihr die Läufer nun nur noch träge voran wälzen.

Halbmarathonmarke

In keiner Minute sagt mein Kopf, „Bleib stehen!“, oder gar, „Ausruhen!“. Er sagt: „Jeder Schritt bringt dich vorwärts und du wirst es schaffen!“ Ich habe ein Tempo gewählt, dass mich sicher das Ziel erreichen lässt. Nun wird es sogar noch leichter, denn ich habe bereits mehr als die Hälfte der Laufstrecke hinter mir und das motiviert.

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Dennoch ziehen sich die Kilometer grauenhaft langsam zwischen Laufen und Gehen dahin, im Wechsel von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation, von Wasserschlauch zu Wasserschlauch. Die Hitze und das viele Wasser in den Laufschuhen lassen die Füße aufquellen und die ersten Blasen wurden schon vor Stunden geboren. Trotz all dieser Umstände bleibe ich weiter konzentriert.

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Am Ufer sitzen Jugendliche auf bunten Decken. Auf den Papptellern liegen die Fleischberge. Manche rauchen Wasserpfeife oder trinken Wodka. Einige wollen Eiswürfel im Drink, ich in meinem Oberteil. Immer wieder lasse ich die Eisbrocken in mein Sportoberteil klackern. Um acht Uhr abends sinken nicht nur die Betrunkenen erschöpft ins Gras. Auch die Familienangehörigen, Freunde und Begleiter der Athleten dösen im Schatten der Wege, sie sind nun auch zum Klatschen und Anfeuern zu müde.

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Sie haben wie die Athleten nur noch einen einzigen Wunsch: möge ihr Held in absehbarer Zeit nun endlich das Ziel erreichen.

Die letzten vier Kilometer

Immer wieder zwinge ich mich das Laufen wieder aufzunehmen. Die nächste Station: Mainufer vor der Uniklinik. Ja – heute gefühlt der heißeste Ort auf Erden, da schattenlos konzipiert.

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Am Ufer halten sich ein paar halbtote Tauben auf – und mit ihnen die verrückten Ausdauerathleten, die ihren Überlebenswillen sagenhaft selbstverliebt spektakulär inszenieren.

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Der Frankfurter Römerberg ist taghell erleuchtet, zittert vor Lärm und flimmert noch immer vor Hitze. Die letzten Meter gleichen einer Partymeile. Die Voyeure sitzen auf der Open-Air-Tribüne wie bei einem Popkonzert und die Athleten unten sind für Sekunden die Stars.

Auf dem roten Teppich merkt keiner den Athleten an, welche Mühe es sie kostete es bis hier hin zu schaffen. Ca.400 angemeldete Teilnehmer, die am Freitag noch ihren Startnummer abholten, wagten sich diesmal nicht auf die Strecke und fast nochmal genauso viele haben ein DNF hinter ihrem Namen auf der Ergebnisliste stehen. Schade! Auch das ist Frankfurt: Man arrangiert sich. Wegen der jahrelangen Beschwerde eines Anwohners am Römerberg ist der Frankfurt IRONMAN weltweit der Einzige dessen Zieleinlauf bereits nach 15 statt nach 16 Stunden endet. Dann ist alles vorbei. Ein Nachteil für die Langsamsten.

Yes, I did it!

Große Emotions-Kulisse. Die letzten Meter über den roten Teppich. Auf der riesigen Digital-Anzeige zählt bereits der Countdown runter. Nur noch knapp 12 Minuten bis zum Zielschluss. Im Zielkanal laufe ich Pascal zum zweiten Mal förmlich in die Arme. Mit weit ausgestreckten Armen empfängt er mich. Wir drücken uns und ich flüstere im zu: „Danke!“. Nur noch wenige Meter, ich lasse mich feiern, bekomme von Jan Frodeno sogar noch ein High-five, bevor ich schließlich die Arme in die Luft reiße und die Ziellinie überquere.

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Ich habe es wiedermal geschafft! Denn zu finishen, in welcher Zeit auch immer, ist einfach ein großartiger Wahnsinn.

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Danach

Mein Ziel war es, die Distanz zu bewältigen und anzukommen. Der Körper ist nach 226 Kilometern müde, wenn auch nicht so müde wie erwartet. Der Kopf aber ist der, der am meiste Erholung benötigt. Mein Experiment endet hier. Wieder habe ich viel gelernt über mich und ich habe erfahren wie stark die Macht der Gedanken ist, besonders dann, wenn man es nicht nur für sich alleine tut. Der Gedanke PHA zu unterstützen gab mir die enorme Kraft. Und es steht in der Verantwortung eines jeden Menschen, diese sinnvoll einzusetzen. Das war mein sechster IRONMAN. Zum ersten Mal, ist mir das verhasste Training erspart geblieben, zum ersten Mal sage ich nicht danach: „nie wieder“.

Um das richtig einzuordnen. Für alle die nun glauben oder hoffen ohne besonderes Training einen IRONMAN finishen zu können, sei noch ein Hinweis gegeben. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder einen IRONMAN finishen kann, wenn er das wirklich will. Die Vorbereitungen sollten aus meiner persönlichen Sicht mindestens einige Jahre  Jahre betragen. Geht nicht zu schnell auf lange Distanzen und gewöhnt euren Körper mit Geduld an den Sport und die Längen. Der Körper reagiert langsam auf Veränderungen, Muskeln, Bänder, Knorpel und Gelenke brauchen Zeit zur Gewöhnung.

Mehr Informationen über PHA Europe gibts hier: www.phaeurope.org

 

Fotos: Ingolf Fiedler, Katharina Pels, Natascha Reitz