Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

Hellfire Gozo Ultra Trail 2013

Challenge yourself!

 

Nein, also das mit dem Einschlafen wird heute nichts. Wie auch? Anstatt Schäfchen zu zählen, repetiere ich im Geiste den hinter mir liegenden, langen und ereignisreichen Tag.

 

 

 

 

 

Es scheint, als seien die kühnsten Träume wahr geworden. Ich bin zwar nicht die Entdeckerin einer neuen Insel, aber immerhin durfte ich meinen Fußabdruck hinterlassen. Es ist gar nicht so leicht, besonders für Marathon- und Ultramarathonsammler, noch eine fast unbekannte Laufveranstaltung ausfindig zu machen.

Die längste Ausdehnung Gozo’s misst 14 Kilometer und die Küstenlinie ist insgesamt 43 Kilometer lang. Nach knapp 55 Laufkilometern und über 1.400 Höhenmetern ist das 67 Quadratkilometer kleine Eiland auch schon umrundet. Der Lauf – oder besser, der Entdeckertrail – ist nicht nur für uns ideal, um Sport, Kultur und Natur der Insel zu verbinden und zu entdecken.

Gozo liegt etwa sechs Kilometer nordwestlich der Hauptinsel Malta. Als Schiffsbrüchiger wurde Odysseus einst auf dieser Insel angeschwemmt. Sie liegt, eingebettet im Mittelmeer, nur etwa 90 Kilometer von Sizilien entfernt und ist so klein, dass sie weder über einen eigenen Bahnhof oder gar einen eigenen Flughafen verfügt. Die wenigen Straßen, auf denen links gefahren wird, verfügen über nur eine einzige Ampel und sollte es doch einen Strafzettel geben, dann wird dieser in Euro gezahlt. Das Inselparadies aber ist sowieso am besten zu Fuß zu erkunden und die höchste Erhebung ist bereits auf 195 Metern erreicht.

Zugegeben, bis vor fünf Wochen kannte ich das Eiland der Republik Malta auch nicht und es war schon mehr als eine glückliche Fügung, die mir im Anschluss an den Malta Marathon (LINK) die Gelegenheit bot, die Insel auf eigene Faust zu entdecken. Es war nur ein Appetithäppchen aber ich genoss es und fühlte mich wie ein Betrachter auf einer Entdeckungsreise im Paradies. Einmal davon genascht, lässt mich dieser Geschmack nicht mehr los. Odysseus konnte der Verlockung der liebestollen Kalypso widerstehen und ging nach sieben Jahren. Ich muss das Abenteuer Inselumrundung leider schon nach einem verlängerten Wochenende planmäßig beenden.

Freitag: Anreise

Mein Direktflug mit der Lufthansa von Frankfurt am Main nach Malta startet um 9:20 Uhr. Keine zweieinhalb Stunden später setzt die Maschine auf dem Malta International Airport (Luqa) auf. Ein lange Menschenschlange vor dem Taxistand: erst wird bezahlt, dann chauffiert. Ich erkundige mich nach dem Preis für eine Fahrt zum Fährhafen Cirkewwa. Fünfunddreißig Euro soll mich die Fahrt mit dem Taxi kosten. Mit der Express-Buslinie X1, die in unmittelbarer Nähe der Taxis abfährt, zahle ich lediglich 2,20 Euro. Keine Frage, ich entscheide mich für den Bus.

Eine Stunde später bin ich am Fährhafen von Cirkewwa. Die Fähre nach Mgarr auf Gozo, übrigens die einzige öffentliche Verbindung Gozos zum Rest der Welt, habe ich knapp verpasst. Ich genieße die Dreiviertelstunde bis zur Abfahrt der nächsten Fähre dösend in der Sonne. Auch Jacques Cousteau´s Forschungsschiff war einst im Comino-Kanal als Fähre im Dienst, bevor Cousteau das Schiff in andere Gewässer steuerte. Ich schippere an Comino, der dritten und kleinsten bewohnten Insel Maltas vorbei. Kaum habe ich meinen Cappuccino ausgetrunken, legt die Fähre auch schon auf Gozo an.

Antonello wartet bereits am Pier auf mich. Bequem bringt er mich durch das ländliche und beschauliche Gozo. Unser Ziel liegt an die Nordküste in Marsalforn, dem größten Ferienort des Eilands. Wir stoppen am Vier-Sterne Hotel mit dem Namen „Calypso“. Zwei Übernachtungen habe ich gebucht. Das Zimmer ist hell und geräumig, von meinem Balkon aus habe ich einen wunderbaren Blick auf die Bucht, die Promenade, das offene Meer und den Kieselstrand. Mit einem Spaziergang durch das einstige Fischerstädtchen und anschließendem Kuchen auf der Dachterrasse des Hotels beginnt das spannende Wochenende. Der gemächlich anmutende, mediterrane Lebensrhythmus wirkt ansteckend. Oder ist es die Luftveränderung, die mich so gelassen macht? An diesem Abend ziehe ich ein saftiges 200 Gramm schweres Rinderfilet den sonst üblichen Kohlehydraten in Form von Nudeln vor. Eine gute Entscheidung, wie sich am nächsten Tag noch zeigen wird.

Samstag: Wettkampf

Ein sauberes Hotel, mit hellen und geräumigen Zimmern. Am Morgen ein leckeres Frühstück – das allein hebt sich noch nicht von anderen Hotels auf der Welt ab. Aber ein extra frühes Frühstück und das keineswegs in einer „abgespeckten“ Version, sondern bereits mit komplett aufgefahrenen Buffet und einem aufmerksamen Service, das ist in der Tat für Läufer schon etwas Besonderes. Zum Zeitpunkt meines Eintreffens hat Gozo etwa 30.000 Einwohner. Wahrscheinlich. Mit den Läufern sind es nun einige mehr. In der Teilnehmerstatistik lassen sich die Italiener nur von den Maltesern überbieten.

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Wie ein akustischer Irrgarten schallt der römische Dialekt in allen Tonlagen freudig erregter Sizilianer durch den Bus. Und ich eingezwängt dazwischen. Ruckelnd und mit knochenharter Federung erreichen wir in wenigen Minuten Nadur, im nordöstlichen Teil der Insel.

Unterhalb der Nadur Parish Church, sozusagen am höchsten Punkt der Stadt, wird gerade das Hellfire Banner gespannt. Der Himmel ist strahlend blau und es ist angenehm warm, die Insel ist still. Während hoch über uns die Sonne versucht, durch das Gewölk zu blitzen, reißt mich der italienische Singsang in die Gegenwart zurück. Noch fünfzehn Minuten bis zum Start. Auf meine beiden nackten Oberarme wird mir mit dicker Schrift die Startnummer 22 gemalt. Die schwarze Farbe ist weder fett- noch wasserlöslich und wird mich noch lange an diesen Tag erinnern.

Mein Biorhythmus hat sich bereits angepasst, ich bin mediterran entspannt, man könnte auch sagen: bedenklich langsam. Was soll´s. Gelassen mache ich mich an die Überprüfung meiner Ausrüstung. Mindestens einen Liter Wasser und Trailschuhe werden vorausgesetzt, ebenso das Mitführen eines Mobiltelefons. Darin gespeichert, die Rufnummern des Race Direktors und der (hoffentlich nicht erforderliche) Erste Hilfe Ruf. Immerhin betonen die Schöpfer der Hellfire Events, dass es bei ihren Veranstaltungen nicht (nur) um Geschwindigkeit, sondern auch um das Verschieben der persönlichen Grenzen geht.

Der Morgen beginnt für die meisten mit einem festen Ritual. Am Start wirkt David hochkonzentriert. Er hockt auf dem Boden, hat den Kopf auf die angewinkelten Beine gelegt. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als ihm jemand auf die Schulter klopft. David, der in Afrika geborene, aber mit englischen und schottischen Wurzeln heute auf Zypern lebende Läufer, hat ebenfalls ein Ritual. Mit den Fingern nimmt er den Staub und Sand vom Marktplatz auf. Damit bestäubt er seine Arme, Beine und sein Haar. Später wird er mir erklären, dass er so im Einklang mit „Mutter Erde“ lebe und diese ihm vor jedem Rennen Kraft und Schnelligkeit gibt. Er will in wenigen Stunden den Applaus des Publikums beim Zieleinlauf genießen. Ob er es bis dahin schafft, weiß jetzt noch niemand. Es gibt zu viele Unwägbarkeiten, die wir Läufer nicht in der Hand haben. Wir könnten Magenprobleme bekommen, uns verletzen oder uns am Ende sogar verlaufen?

„Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen…

…man weiß nie, was man kriegt“, sagt Tom Hanks gleich am Anfang des Films „Forrest Gump“. Vor uns Läufern liegt die mehr 32 Meilen (um die 55 Kilometer) lange und mit etlichen An- und Abstiegen gespickte Strecke, wie eine prall gefüllte Praline. Jedes abgebissene Eck zergeht auf der Zunge, man freut sich auf die überraschende Füllung in ihrem Inneren: mal süß, mal herb, bittersüß oder feurig scharf. Garantiert werde ich jedes Aroma davon genießen.

Bodypainting

Es ist nach acht Uhr. Zum ersten Mal werde ich schreiben können, dass wir nicht pünktlich gestartet sind. Schließlich bekommt auch der Letzte aus der Schlange der Anmelder sein Oberarm-Painting. Vorbei ist es mit dem Warten, alles geht auf einmal fürchterlich schnell. Mit uns Ultraläufern starten auch die (wenigen) Team-Paare. Diese erstrampeln sich abwechselnd mit einem geländetauglichen Fahrrad die Strecke. Mountainbike und Laufen im Team? Diese Kombination galt vor ein paar Jahren noch als neu und gewagt. Erst drei Stunden nach uns werden auch die Solo-Mountainbiker und die Halbmarathon-Läufer auf der Strecke sein.

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Die durchnummerierten Frauen und Männer hält nun nichts mehr auf. Schnell zieht sich die Läufermenge auseinander. Kaum haben wir den Ort verlassen, beginnt auch schon der Trail. Das Meer kommt zum ersten Mal in Hör-, Seh- und Geruchsweite.

Die Insel scheint überhaut bei den Enkeln Jacques Cousteaus sehr beliebt zu sein, denn dutzende dieser neoprenbehäuteten Spezies sind bereit zum Abtauchen. Für alle Fälle steht bereits ein Notarztwagen bereit. Keine Stunde unterwegs und vom Grau des Alltags ist nichts mehr übrig. Ganz besonders jetzt, wo die Sehnsucht nach Farbe, Leben und wohligen Temperaturen besonders groß ist. Zuhause lässt der Frühling noch immer mit lachhaften null Grad auf sich warten. Hier aber breiten sich kräftige Wildblüten in bunten Farben großflächig vor uns Läufern aus.

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Kurz darauf bin ich an der Schlucht Mgarr ix-Xini, die vom Meer in eine kleine Bucht mündet. Jetzt habe ich den Strand ganz für mich allein. Fast, denn noch weit hinter mir sehe ich einen orangefarbenen Läuferpunkt, der langsam aber beharrlich näher kommt. Seine Oberarmkennzeichnung hat die Nummer 43. Michele stammt aus Palermo und wenn er mal nicht läuft, dann fährt er Reisebus, auch schon mal die Fußballmannschaft des AC Florenz. Noch ein anderer Läufer stößt zu uns. Der Malteser Antonio, mit der Oberarmnummer 9. Er hat sozusagen ein Heimspiel, denn er lebt und arbeitet auf Malta.

Kooperation statt Konkurrenz

Gemeinsam ist die erste Verpflegung nach elf Kilometern erreicht und schon wird der Inselcharakter sichtbar. Jetzt sind wir im Süden der Insel, dem Dorf Sannat. Dieser Ort ist bekannt für seine prähistorischen Karren- oder Schleifspuren, Tempel und Dolmen. Weiter geht’s über steinigen Untergrund. Sowohl die Nationalpflanze Maltas „Cheirolophus crassifolius“ als auch die wohl seltenste Pflanze Europas, das strauchige Leimkraut „Silene fruticosa“ sind hier zu finden – würde ich sie kennen. Was ich sehe, sind die Feigenkakteen.

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Schwindelfrei sollte man schon sein, wenn man sich traut, an den Ta´Cenc-Cliffs, den höchsten und steil ins Meer abfallenden Klippen Gozos, nach unten zu schauen. Das Panorama ist beeindruckend und ich kann mich ihm kaum entziehen. Für den Tourismus wird gerade eine neue Straße entlang zu den Klippen gebaut. Des einen Freud, des andren Leid.

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Halsbrecherisch geht es wieder abwärts. Dann öffnet sich der Blick schon auf Kantra Valley. Wir überqueren diese tiefe Schlucht, die einst ein Flussbett und der Ort einst Fischereihafen war. Steil geht es aufwärts und unten sehen wir, eingebettet von steilen Klippen, den Ort Xlendi. An den Stränden überwiegt zu dieser Jahreszeit die Ruhe. Das Leben spielt sich unter Wasser ab. Eine in den Stein betonierte Leiter führt die Taucher hinab aus dem Trockenen hinein ins tiefe kristallklare Nass.

Was für Taucher das Wracktauchen ist, ist für Läufer ein anständiger Trail. Und so tauchen die beleibten Herren in ihren hautengen schwarzen Neos ab. Wir steigen indes immer weiter auf. Hinter dem Ort an der Xlendi Bay führen Steintreppen, die eher Klettersteige als Stufen sind, aufwärts. Die Sonne sticht vom Himmel, die Steine glühen vor Hitze. Noch mehr steile Stufen. Plötzlich ragt schroffer, nackter Fels hervor. Wie die zahlreichen Geckos der Insel, kleben wir senkrecht am Fels. Immer wieder zeigt sich wie wichtig gute Profilsohlen sind. Ich suche Halt und greife dabei in die Dornen. Eine Schmerzwelle durchläuft jeden Finger. Auch Michele schaut gequält. „Fuck it, Ruben“. Das ist Anthony‘s letztes Wort für die kommende Stunde und damit war der Streckenchef gemeint. Oben angelangt, sehe ich ihn aber schon wieder lächeln, denn wir haben uns gerade einen der besten Aussichtspunkte auf Xlendi erarbeitet.

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Meile 11 – 20

Wir sind an der Westküste. Ich verfange mich mit dem Profil meiner Trailschuhe im feinmaschigen Netz, welches zum Vogelfang ausgelegt ist. Beim Trailrunning lernst du, die Füße zu heben. Nach einem Marsch über das Plateau sind wir an der nächsten Sehenswürdigkeit Gozo‘s angekommen. Es ist ein 65 Meter hoher Kalksteinblock, auch „Fungus Rock“ genannt. Der nur dort vorkommende Malteserschwamm brachte dem Malteserordnen viel Geld. Denn der Pflanze wurde nicht nur blutstillende Wirkung zuschrieben, sondern auch als Aphrodisiakum genutzt. Dass die Pflanze jedoch keinerlei medizinische Wirkung hatte, bemerkte man erst später.

Mit dem Wind im Rücken läuft es sich leicht weiter und ich fühle mich so gut, ich könnte Bäume ausreißen, gäbe es hier denn welche. Noch ganz klein, aber sehr markant, erkenne ich in der Ferne das berühmte „Azure Window“. Schritt für Schritt wird das blaue Fenster größer. Dabei nähern wir uns aber auch den Parkplatz-Schlachtfeldern. Zwischen Meile 13 und 14 sind wir an der Dwejra Bay und direkt am Dwejra Tower ist der zweite Verpflegungspunkt erreicht.

Azure Window

Einen Moment unachtsam und wir sind wieder vom Weg abgekommen. Aber, welch ungeahntes Glück, wir stehen direkt vor dem Azure Window. Einen wunderschönen Rahmen bildet die 30 Meter hohe Felsformation für das wie bemalte azurblaue Meer.

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Nach einem erneut steilen Aufstieg zieht der Wind plötzlich so heftig von vorne, als hätte jemand das Blaue Fenster zu weit geöffnet. Der Trail wird kahler. Wieder fühlen wir uns wie Pfadfinder. Es macht Spaß, den auf Stein gemalten roten Pfeile beziehungsweise roten Punkte zu folgen. Manchmal ist aber auch ein rotweißes Band an einem Stamm wilden Blumenkohls oder um einen Stein geknotet. Nein wirklich, die Strecke ist vorbildlich markiert. Aber einige „Spaßvögel“ hatten wohl sehr viel Freude daran, an manchen Stellen die Flatterbandmarkierung zu entfernen. Und der immer wieder einsetzende starke Wind lässt eine Markierung auch schon mal in eine ganz andere Richtung fliegen. An uns rasen Hellfire Ultra-Mountainbiker vorbei.

Siesta: Das Dorf ruht, die Trailer auch!

Wieder ein Checkpoint und eine Getränkestelle. Was Michele zu wenig dabei hat, hat Antony zu viel. Immer wieder überrascht er uns mit einer anderen Leckerei. Hier haben wir vielleicht sogar ein wenig zu lange pausiert. Wir lassen uns nicht hetzen, schultern unsere Rucksäcke und ziehen weiter. Das Profil der Strecke bleibt kurzweilig und in der Ferne knarrt ein Wasserrad.

Meile 21-32 Speed is relative!

Michele drückt immer wieder mal aufs Tempo, denn es gibt noch viel zu sehen. Ich schaue erst gar nicht auf die Uhr. Zu schön ist das, was wir fortwährend zu sehen bekommen. Auch hier, an der malerischen Küstenlinie, sind die die von Hand gegrabenen Salzpfannen durchzogen von der Sonne. Die historischen Salinenfelder vor Marsalforn gibt es schon seit 1740 und werden noch genutzt.

Ohne die Verpflegungspunkte und unser Wasser im Getränkerucksack würden wir inzwischen wie Dörrobst in der Gegend liegen. Wir sind nun an der 3. Verpflegung in QBajjar. Auch hier betreuen wieder die jungen Pfadfinder (Xaghra Scout Group) den Stand. Und mal wieder ist es zu gemütlich, um schnell weiterzulaufen.

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Dass Marsalforn zu den beliebten Touristenorten gehört, wird beim Überqueren der Strandpromenade klar: Die Plätze in den Restaurants sind auch jetzt zur Mittagszeit bis auf den letzten Platz mit Ausflüglern besetzt. Verglichen mit ihrer großen Schwester Malta ist Gozo nicht nur friedlicher, auch das Preisniveau ist niedriger.

Etwa nach 30 Kilometern laufen wir direkt an unserem Calypso Hotel vorbei. Ich bin froh, noch nicht im Ziel zu sein, denn noch immer habe ich Lust, mehr und Meer zu erleben. Hinter Marsalforn wieder ein steiler Anstieg, die Landschaft mutet lieblicher an, was sich jedoch als Maskerade entpuppt.

Copacabana oder Fatamorgana?

Zwölf Meter groß ist das Abbild Jesus‘ auf dem Tas-Salvatur, von dem man sagt, es sei einst ein Vulkan gewesen. Die Statue soll den Ausbruch verhindern. Bis heute hat es funktioniert. Dieser alte Zaunpfahl mitten im Nirgendwo. Nun bin ich an dem Ort, von dem ich nie geglaubt hätte, dass es mich jemals dorthin verschlagen würde, schon gar nicht ein zweites Mal. Wir laufen einige Kilometer den „Entdeckertrail“. Das Meer entlang der Küste ist hier türkisblau mit weißen Schaumkronen.

Bambus Höhle

Sämtliche Laufmagazine schwärmen vom Trailrunning und beschreiben es letztlich als hautnahe Kontaktaufnahme mit der Natur. Es gibt Läufe, von denen weiß man, dass sie kein Spaziergang werden und einen fordern und leiden lassen. Läufermassen werden angezogen von überteuerten Spaßläufen, bei denen man sich durch Schlamm und Dreck in künstlicher Umgebung wühlt. Ich habe schon mal über 30 Minuten gewartet, bevor ich ein Hindernis konnte.

Ich laufe auf einem lehmigen, glitschigen Pfad mitten durch einen Schilfurwald. Versteckt im dichten Schilf ist der Eingang zu einer Bambushöhle. Tief gebückt bewegen wir uns hindurch. Draußen bleibt mir nun endgültig vor Staunen die Spucke weg.

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Die Italiener können gar nicht anders, als Frauen hinterher zu schauen. Das liegt wohl in ihren Genen. Dass aber ein Sizilianer vor mir einen Bückling macht…! Nicht weniger charmant der Malteser in unserer kleinen Laufgruppe. Zum Sprung über einen Bach reicht er mir galant seine Hand.

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Und als wäre das noch nicht genug, geht es für eine kurze Strecke auf allen Vieren nach oben. Teilweise sind wir so langsam, Schnecken könnten uns rechts überholen.

Grotte der Calypso

Yep! Ein optimaler Platz für einen „Coffee to go“! Was zum perfekten Glück fehlt, ist hier zufällig an jenem Ort, an dem die Nymphe den Seefahrer Odysseus festgehalten und vielleicht sogar geliebt hat. Und noch immer blickt man von hier oben auf den Strand Ramla l’Hamra. Steil laufen wir abwärts in Gozos berühmteste Bucht die Ramla Bay. Am Strand auf dem zarten und rostfarbenen Sand der Kalypsoinsel stehen die leicht angerösteten Körper eines Pärchens wie ein paar knackige Weißwürste im wundervollen Kontrast.

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Antonys Schuhsohlen machen schlapp und wir haben uns schon wieder verlaufen. Vielleicht ist die Markierung vom Winde verweht? Wir sind im Landesinneren. Es hört sich an, wie wenn Gotthilf Fischer einen jaulenden Hundechor dirigiert. Ich stelle alle meine Sinnesorgane auf Alarm. Geheule und Gebelle streunender Hunde. Ausgerechnet hier laufen wir orientierungslos im Kreis und müssen gleich zweimal an ihnen vorbei.

Beim Geruch von Zitronen ist das Erlebnis von eben schnell vergessen. Und um ehrlich zu sein, eigentlich waren die Hunde harmlos. Auf unserem weiteren, hoffentlich nun richtigen Weg, laufen wir auf terrassenförmig angelegte, von kleinen Steinmauern umgebene Felder. Es ist sozusagen der Gemüsegarten Gozo‘s. Zitronen, Bohnen, Bananen, Feigen. Düfte über Düfte und immer der Blick zum Meer. Von hier an laufe ich mit Zitronen im Gepäck weiter.

„Tempus fugit“ die Zeit fliegt

Diese betagte Redewendung, trifft genau den Nagel auf den Kopf: Wieder verlaufen und kein Funknetz. Also garantiert klingelfreie Zone. Traumhaft, oder? Nur jetzt gerade völlig ungeeignet, weil in einer Wildnis aus nicht enden wollenden Büschen. Plötzlich, inmitten der Büsche, trennen sich die Wege. Dafür gabeln wir noch Alfonso auf, mit der Oberarmnummer 40. Er irrt schon länger durch Gozo‘s Wildnis. Unter Mühen erreichen wir eine Straße. Der Weg zur letzten Verpflegung ist weit, mindestens noch sieben Kilometer, entfernt.

Fünf Freunde

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne taucht die sanft hügelige Landschaft in goldgelbes Licht – leider! Keiner spricht es aus, doch allen ist klar, dass wir das Ziel auf dem regulären Weg heute nicht mehr erreichen werden. Ich kämpfe mit den Tränen, als sich das Fahrzeug, das uns aufsammeln soll, langsam nähert. Ohne die anderen zu fragen, sage ich zu Nathan: „Wir wollen wenigsten laufend das Ziel erreichen, wenn uns auch zur eigentlichen Strecke nur etwa sieben Kilometer fehlen.“ Er wendet daraufhin seinen Geländewagen und fährt die letzten zwei Kilometer bis nach Nadur langsam vor uns her.

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Was folgt, ist ein grandioser Showdown. Gemeinsam Hand in Hand läuft der Triumphzug der angeschlagenen Läufer über den Marktplatz ins Ziel. Jubel. … Wir fallen uns in die Arme. Selten habe ich bei einem Lauf so viel Seligkeit verspürt. Uns eint die Erfahrung. Die gleichen zerstörten Illusionen, der gleiche Schmerz, der gleiche Wunsch auf Wiederholung! Dieser Tag ist so einer, der sich in meiner Erinnerung einbrennt.

Spannend genug bleibt es trotzdem, auch wenn das Ende unter ein bisschen weniger Melodramatik nicht gelitten hätte. Der Zieleinlauf unserer kleinen Gruppe wurde gewertet. Dafür muss jeder von uns eine einstündige Zeitstrafe verkraften. Was aber ist schon eine Stunde gegen ein „Did Not Finish“?

After Race Party

Noch einem 10stündigem Konditionstest weiß man eine Dusche erst richtig zu schätzen. „Du hast genau zehn Minuten“ bekomme ich gesagt. 10 Minuten, das ist schon eine schnelle Wechselzone für Duschen und Make up. Gozitanische Speisen, ein hauseigener Malteser Wein und das in Gesellschaft des Ministers von Gozo.

Ein herzliches Dankeschön an das komplette Team und alle Helfer! Denn die lockere und professionelle Art des ganzen Hellfire-Teams sorgen für unterhaltsame Stunden, bis es dunkel wird auf Gozo. Alle Teilnehmer sind überzeugt: Der heutige Tag war ein einzigartiges Lauferlebnis: „Yes, indeed“ man gönnt sich ja sonst nichts.

Sonntag: Heimreise

Am nächsten Morgen hängen graue Regenwolken über Marsalforn. So als wolle mir die Insel den Abschied erleichtern, donnert die stürmische Brandung wild gegen das Felsplateau, manch eine Welle ergießt sich bis auf die Promenade. Es bleibt noch Zeit für ein entspanntes Frühstück und die ersten Zeilen dieses Berichtes, bevor ich nach einer schaukelnden Überfahrt wieder Malta erreiche. Wenige Stunden später lande ich im kalten, aber endlich sonnigen Frankfurt.

Resümee:

Der Hellfire Ultramarathon auf der Insel Gozo ist ein echter Geheimtipp! Ich jedenfalls habe jeden Kilometer dieses Laufes genossen, wie eine erste Praline, von Hand gefertigt in einer vollen Schachtel, die langsam auf der Zunge zerschmilzt. Mit dem Laufen ist das wie mit Schokolade. Wenn wir Schokolade essen, sind alle guten Vorsätze vergessen. Man kann erst aufhören, wenn die Schachtel leer ist. Neue Forschungsergebnisse deuten auf einen Zusammenhang mit dem körpereigenen Belohnungssystem hin. Wie beim Laufen gilt auch für den Schokoladenkonsum: Die Dosis macht die Wirkung.

Was man noch wissen sollte:

„Nahezu alle Straßen auf Gozo sind in Richtung der Inselhauptstadt Victoria ausgerichtet. Insbesondere gibt es keine Ringstraße, auf der man entlang der Küste die Insel umrunden könnte.“ So steht es zumindest unter „Allgemeine Informationen über GOZO“ auf Wikipedia.
Dass es doch funktioniert, hat das kleine Organisationsteam bewiesen. Viele Monate Vorbereitungen haben die beiden Malteser Antonello und Nathan hinter sich. 2012 machten sie erstmals den Traum einer Inselumrundung wahr. Und weil sie ihre Leidenschaft gerne teilen, gründeten sie das Unternehmen „Hellfire“. Als ambitionierte Läufer, Ultraläufer und Triathleten wissen sie genau, was der läuferische Zeitgeist will. Hellfire Veranstaltungen sind Extremereignisse auf schwierigem Terrain. Mit weiteren Events wie den „LungBuster“ einem Triathlon und einem Duathlon zeigen sie sportlichen Touristen wie mir die fast unerschöpflichen Reize Maltas und Gozos.
Wettbewerbe: Neben dem Ultramarathon werden auch ein Halbmarathon und ein Mountainbike Rennen über beide Distanzen angeboten. Ebenso besteht die Möglichkeit des Teamwettkampfes. Gleichzeitig sind ein Läufer und ein Mountainbiker auf der Strecke.

Homepage und Anmeldung:

http://hellfiretri.moonfruit.com/gozo-55k-trail/4541371436

Streckenprofil:
Ultramarathon 32 Meilen mit 1.400 Höhenmetern

Startgeld:
€ 40 für den Ultramarathon.
Darüber hinaus sind verschiedene Arrangements möglich. Zum Beispiel: Calypso Hotel 4 Sterne, 2 Übernachtungen und Frühstück im Doppelzimmer, Transfers, Fähre, Startgeld, Finisherparty. Für Teilnehmer €148, für Begleiter €108

Temperatur: 19°C

Verpflegung:
Vier Verpflegungsstellen, saftige Orangen, Bananen, Gumminaschzeug, Salzkräcker, Wasser und Gatorate. Zusätzlich noch vier Getränkestationen

Zeitmessung:
per Hand nach Zieleinlauf

Preise:
Pokale und Sachpreise für die ersten beiden Gesamtsieger. Keine Altersklassenwertung! Hellfire-Buff für alle Teilnehmer

Währung: EURO

Stromversorgung:
Dreipolig (wie in GB), 240 Volt

Anreise:
Die Fähre zwischen Malta und Gozo verkehrt mehrmals täglich, auch an den Wochenenden und feiertags. Fahrpläne unter www.gozochannel.com

Übernachtung:
Hotel Calypso, Marsalforn Bay. www.hotelcalypsogozo.com
Informationen über die Insel: www.visitgozo.com
Ergebnisse gesamt Männer Ultramarathon:
1. Giuseppe Cuttaia, (IT), 05:53:50 Stunden
2. David Simpson, (CYP), 06:04:28 Stunden
Ergebnisse gesamt Frauen Ultramarathon:
1. Alessandra Corvaia (IT), 07:35:38 Stunden
2. Karen Xerri, (MLT), 07:46:15 Stunden

Finisher:
Ultramarathon 21 Männer (3 DNF), 8 Frauen (2 DNF)