Andrea Helmuth

Andrea Helmuth

IRONMAN 70.3 Berlin

Ready for Takeoff

 

Wer mutig genug ist, sich auf Neuland und Premieren einzulassen, der erlebt auch was. Denn noch gibt es keine Erfahrungsberichte oder Ergebnislisten im Internet, keine Heldenstories in den Magazinen, keine Medaille, die in irgendeiner Schublade schlummert und auch noch keine Sieger. Zeit, statt Rettungsweste den Neoprenanzug anzuziehen und auf den Jungfernflug des 70.3 Ironman Berlins zu starten.

 

 

 

Berlin und seine Flughäfen. Eine Odyssee, die nicht nur die eigene Nation sondern auch ganz Europa mit einem Schmunzeln verfolgt. Und während der eine, Berlin-Tempelhof, 2008 seine Start- und Landebahnen schließt, steht die Eröffnung des anderen, Berlin-Brandenburg International, noch in den Sternen. All das sollte die Organisatoren und Triathleten aber zunächst nicht interessieren. Doch wie das immer so ist mit Plänen; Im letzten Moment kommt alles anders als man denkt: Knapp vier Wochen vor dem Startschuss erhalten die Athleten eine Email des Veranstalters: Aufgrund kurzfristiger Verweigerung der Genehmigung von der Stadt, muss die Radstrecke verlegt werden. Statt einer schattig-luftigen Radstrecke durch den Grunewald erwarten die Athleten nun die Asphaltkilometer auf dem ehemaligen Flughafengelände Tempelhof – mit insgesamt 24 Wendepunkten. Später sollten wir erfahren, dass der Staatsbesuch Barack Obamas für die Streckenänderung verantwortlich.

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Was nun? – So habe ich mir einen Ironman in Berlin nicht vorgestellt. Das dachten sich auch viele andere der insgesamt 1.600 angemeldeten Starter und nahmen das Angebot der World Triathlon Corporation an und meldeten sich ab oder ließen sich ihren Startplatz auf einen anderen 70.3 Ironman übertragen. Auch ich spielte mit dem Gedanken einer Ab- oder Ummeldung. Doch nicht nur, dass ich mich nun bereits seit 6 Monaten auf diesen Tag vorbereitete, so wohnt auch meine Tochter Natascha in Berlin und ein Besuch ist die Anreise allemal wert. Und wenn man schon mal hier ist, kann man genauso gut auch starten. Damit hätten wir auch das geklärt und so konnte ich mich die letzten 4 Wochen auf die nun veränderten Bedingungen einstellen und daraufhin trainieren.

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Put your hands up in the air

Der Jungfernflug beginnt heute nicht auf dem Flugplatz, sondern an der Elsenbrücke am nördlichen Ufer der Spree. Um dort hinzugelangen nimmt man am besten die S-Bahn bis zur Station Treptower Park. Diese befindet sich genau an der Elsenbrücke von welcher aus man auch die gesamte Schwimmstrecke einsehen kann. Natascha und Christian begleiten mich zum Start. Doch noch bevor die ich bei dieser Premiere starten kann, beobachten wir einige Menschen, die einen ziemlichen Absturz hinter sich haben. Auf dem Weg zum Start sehen und riechen wir um 6 Uhr morgens noch die Trümmer der Berliner Partygesellschaften, auf der Suche nach dem nächsten Club, einem Schlückchen Alkohol oder einfach nur einem Plätzchen zum Schlafen.

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Trotz der zahlreichen Absagen finden sich am frühen Sonntagmorgen noch knapp 1000 Teilnehmer am nördlichen Spreeufer ein. Gestartet wird in 8 Startwellen. Zunächst die Profis um 8 Uhr, 5 Minuten später die Frauen und dann die Altersklassen der Männer jeweils im 10-Minutentakt. Die Startlinie der 1,9KM langen Schwimmstrecke befindet sich im Wasser. Geschwommen wird zunächst 900M flussabwärts in Richtung Oberbaumbrücke bis zu einer Wendeboje. Nach der Wende geht es 1KM gegen die Strömung zurück bis zur Elsenbrücke. Pontons am Ufer erleichtern den Ein- und Ausstieg in die Spree.

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Sollte die Wasserqualität zwar getestet und als nicht gesundheitsschädigend eingestuft worden sein, so beruhigt mich das zwar für den Moment des Schwimmens, aber Abends stelle ich fest, dass man sich den Nagellackentferner nach einer Erfrischung in der Spree auch sparen kann.

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Während ich mich also auf den 50M bis zum Start einschwimme, höre ich die Musik, die über die großen Lautsprecher am Ufer bis zu uns aufs Wasser schallt. Bei dem Beat wären die Partygänger sicher neidisch, aber vielleicht findet sich der ein oder andere sogar unter den Zuschauern, die am sonnigen Ufer stehen und den Athleten zujubeln. Mit dem Startschuss der Profis geht die Party richtig los. Ironman Berlin 70.3 ist ohne Verzögerung gestartet und hat bereits jetzt viele Fans.

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Rosinenbomber in der Stadt

70.3 steht für die Gesamtstrecke, die die Triathleten schwimmend, radelnd und laufend zurücklegen müssen – in Meilen gerechnet. Das entspricht einer Gesamtdistanz von 113 Kilometern. Die ersten 1,9KM habe ich hinter mir, als ich die Spree über die Rampe verlasse und mich auf den Weg zu meinem Rennrad mache. Durfte man sich früher noch an seinem Radstellplatz umziehen, so muss man nun seinen Kleiderbeutel finden (!) von einem Haken nehmen, in ein Umkleidezelt verschwinden und sich dort umziehen. Neo und Schwimmbrille stopfe ich so schnell es geht in den dafür vorgesehenen Beutel, ziehe Radschuhe an, setze Helm auf und los geht’s. Mit meinem Rad renne ich aus der Wechselzone zur Straße. Erst hier darf man aufstiegen und in die Pedale treten. Ab jetzt heißt es „Kette links“ für die nächsten 90KM.

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Von der Wechselzone aus geht es zunächst über die Elsenbrücke zum Columbiadamm und dann weiter zum Mehringdamm. Dort habe ich das Flugfeld erreicht und kann durchstarten zur meiner ersten von insgesamt 3 Runden auf den ehemaligen Start-und Landebahnen der Tempelhofer Freiheit. So heißt das Gelände seit Mai 2010, nachdem der Flughafen am 30. Oktober 2008 seinen Flugverkehr einstellte. Der Flughafen Berlin-Tempelhof gehörte zu den ersten Verkehrsflughafen Deutschlands und nahm 1923, in den Goldenen Zwanzigern der Stadt, den Linienverkehr auf. Überlebenswichtig für die Bevölkerung der Stadt wurde der Flughafen nach dem zweiten Weltkrieg, als 1948 die Luftbrücke während der Blockade West-Berlins eingerichtet wurde und hier Flugzeuge zeitweise im 90-Sekundentakt starteten und landeten.

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Der amerikanische Pilot Gail Halvorsen warf während des Fluges über die Stadt Süßigkeiten an Taschentuchfallschirmen aus dem Cockpit. Viele Piloten taten ihm das nach und so erhielten die Flugzeuge schnell den Namen Rosinenbomber. Auch wenn diese alten Militärmaschinen heute nicht mehr in der Luft zu sehen sind, so könnte ich doch schwören, den ein oder anderen Rosinenbomber heute auf dem Rollfeld entdeckt zu haben. Viele Rennräder sind dermaßen mit Gels und Riegeln beladen, dass es ihre Piloten damit wohl ganze Stadtteile mit Energie versorgen könnten.

Punktlandung für Raelert

Auf den Rollbahnen kreiseln die Rennmaschinen in Ferrari-rot, BMW-blauweiß, Mercedes-silber oder Red Bull-weiß – und machen das große und farblose Areal damit zu einem einmaligen Schauplatz internationaler Renn- und Laufmaschinen. Mit fast 380 Hektar Gesamtfläche ist die Tempelhofer Freiheit Berlins größter Park und damit sogar größer als der Central Park in New York. Ein wirklich nettes Plätzen, um beim Rundendrehen zuzuschauen wie andere Runden drehen.

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Ein Gemisch von Plätzen, Straßen, Luxus-Wohnquartieren, so der noch immer bestehende Plan, soll irgendwann auf dem Flugfeld errichtet werden. In Berlin wird unaufhörlich in die Zukunft geschaut und gebaut und gebaut. Doch wie das mit Plänen immer so ist; naja, heute wird hier sicherlich kein Grundstein gelegt. 37 Profis und ein Formel-1 Weltmeister sind am Start. Und einer von ihnen, Michael Raelert, ist bereits nach 3 Stunden und 47 Minuten als erster im Ziel. „Im Wasser musste ich ganz schön kämpfen. Mit dem Rad lief es gut, das Laufen war dann aber ziemlich hart.“

Unter den Athleten befindet sich auch Scheich Hamad bin Isa Al Khalifa, der Emir des Kleinkönigreichs Bahrein sowie Scheich Nasser bin Hamad Al Khalifa. Beide sind nicht nur Fans schneller Autos, sondern verfügen auch über die nötigen Mittel, um ihr eigenes Triathlon-Team nach Berlin einzufliegen. Scheich Nasser ist zudem Präsident des Nationalen Olympischen Komitees und Mitglied im IOC. Scheich Khalid ist Vorsitzender des nationalen Leichtathletik Verbandes und in seinem Land für die Belange des Nachwuchssports verantwortlich. In einem Land wo Wasser teurer ist als Benzin muss man sich das Training schon leisten können. Am Tag des Bike-Check-Ins konnte man beobachten, wie die braungebrannten Royals aus dem Morgenland statt in traditionellen knöchellangen Gewändern, in hautengen Vereinstrikots gemütlich durch die Boxengasse zwischen den Rennmaschinen umher schlenderten um die Boliden der Konkurrenz zu inspizieren. Wie Dubai ist auch Bahrain ein eher westlich orientiertes Land. Frauen tragen selten Schleier, auch Alkohol ist erlaubt. Bereits seit 2004 gibt es in dem Emirat eine Formel-1-Rennstrecke; Zufall, dass Jenson Button ebenfalls hier am Start ist? Der ehemalige Formel-1 Weltmeister ist auch ohne Motor ziemlich schnell unterwegs: „Im Triathlon warten so viele Schmerzen auf dich, physisch und mental. Wenn du das durchstehst, kannst du es mit allem aufnehmen.“ Dieser Spruch könnte auch von mir sein, ist aber von Jenson Button, der seinen feuerfesten Overall gegen einen knappen Triathloneinteiler austauscht und am Ende eine Zeit von 4:19:51 hinlegt. „Das ist dann schon ein Wechselbad der Gefühle“, erklärte der Rennfahrer später im Ziel. Übrigens, sein Rennbolide ist nicht von McLaren und soll dennoch 13 TEUR(!) gekostet haben.

Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft

Doch weder Jenson Button, noch dem Triateam aus dem Bahrein nutzt der ganze Reichtum. Quälen müssen sie sich alle trotzdem. Und das können die Landebahnradler hier heute richtig gut. Ein Ironman-Wettkampf ist ein Sport für Masochisten und ohne die Lust am Leiden macht er keinen Spaß. Die Strecke gleicht einer Wüstenpiste und besticht durch ihre minimalistischen Nacktheit, kühl kalkuliert und absolut erbarmungslos.

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Runde um Runde, Landebahn auf und Landebahn ab kämpfe ich gegen den Wind wie Don Quichote gegen Windmühlen. Und dann, gerade im rechten Augenblick, als mein 30er Schnitt zu scheitern droht, kommt nach 90 Kilometern für mich das Ende der Radstrecke und ich renne in die zweite Wechselzone. Radschuhe aus, Laufschuhe an. Mit zunehmendem Alter sollte man auf anstrengenden Sport verzichten, Stress meiden und höchstens spazieren gehen, denke ich mir, laufe aber weiter. Gegen den Wind. Diesmal um die Landebahnen herum, aber wieder auf drei Runden. Nach 21,1KM habe ich auch die letzte Disziplin geschafft und bin nicht nur sicher im Ziel, sondern auch auf dem ersten Platz gelandet.

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Damit habe ich mich für die 70.3 Weltmeisterschaft in Las Vegas qualifiziert. Eine Quali zu gewinnen ist für viele Triathleten ein großer Wunsch und so halte ich den Pokal stolz in den Himmel; ein nicht geträumter Traum ist in Erfüllung gegangen.

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Fotos: Davis Gerber, Natascha Sambach