Andrea Helmuth

Andrea Helmut

Paddle to the Medal

Die Schlacht am Schlachtensee oder ist dabei sein wirklich alles?

 

Natürlich ist es empfehlenswert, seinen sportlichsten und peinlichsten Auftritt nicht zu verraten, zumindest solange er frisch ist. Aber später, nachdem es überwunden wurde, kann man es ja erzählen. Neulich, meine Tochter und ich telefonierten mal wieder. Das Thema war mein Besuch in Berlin und das sportliche Wochenendprogramm. Flatterhaft angedachte Möglichkeiten. Bis meinem Sprössling eine spannend klingende Ausschreibung in die Hände geriet.

 

 

Eis, Eis, Baby!

„Swim-Run-Swim“ nennt sich das, was wir hier machen wollen. Ein Cocktail aus ein wenig schwimmen und ein wenig laufen. Klingt süß! Dachten wir. „Wir werden es herausfinden“, sagte ich zur Natascha. Zum Aufbau des Selbstbewusstseins sind wir uns schnell einig: Training ist nur etwas für Feiglinge nicht für frei Umherschweifende wie uns, die das und sich einfach mal ausprobieren wollen. In so einer Lage was zustande zu bringen ist wunderbar. Wenn die Erwartungen bei null liegen, kann es keine Enttäuschungen geben. Wenn es klappt, super. Wenn nicht, auch okay.

Sehr schnell aber entpuppt sich der angeblich so spaßige Wettkampf als nautische Lebensprüfung, die sich gewaschen hat. Nur sagt einem das vorher keiner. Ob und wie das funktionieren würde, davon hatten wir am Start noch keinen blassen Schimmer, aber dafür gab es ja auch kurz vor dem Start die Wettkampfbesprechung. Beim SRS geht es um schnelles Schwimmen und überdies ums schnelle Laufen. Für die Nichteingeweihten: Man schwimmt mit Schuhen und läuft im Neoprenanzug mit Pullbuoy und Paddles. Hier und jetzt besteht die komplette Wettkampfstrecke aus 11,4 Kilometern. Sie besteht aus wechselseitigen 7 x Laufen (zwischen 0,5 – 1,7 km) und 6 x Schwimmen (zwischen 100 und 1.100 Metern) und das ganze wird in Zweier-Teams bestritten.

Noch herrscht Frieden am Wasserloch, auch, wenn in mir das Gefühl aufkeimt, diesen Ort zur falschen Jahreszeit zu besuchen. Schon der See deutet an, dass es hier doch einige Nummern kleiner, familiärer und, ja, gemütlicher zugeht als beim Ötillö in Schweden. Die Location: Berlin, Schlachtensee. Bei schönem, heißem Wetter bestimmt auch ok. Aber jetzt zieht trotz Sonnenschein feuchte Kälte unter meine Jacke. Es ist kalt, schweinekalt sogar. Dennoch, Berlin ist nicht Schweden und der Schlachtensee nicht die Ostsee.

Paarshipping statt Solo-Performance

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Für den Testlauf des SRS entschied man sich für die zu Losung eines Partners, unmittelbar vor dem eigentlichen Wettkampf. Startnummern werden ausgegeben. Der Spaß soll im Vordergrund stehen, so die Message. Es finden sich Paare, die ganz jung oder hochbetagt sind, andere, bei denen die Genderfrage nicht gänzlich geklärt ist. Die größte Herausforderung ist jedoch das man nicht weiß, wie der neue unbekannte Partner so tickt, welches Leistungsniveau er hat und welche Zielzeit er anstrebt. Aber wir spielen mit, haben noch nicht einmal Startgeld bezahlt für diesen Nervenkitzel. Denn es ist quasi ein Test und wir die Versuchskaninchen. Immerhin sind Hilfsmittel wie der Pullbuoy und Paddles erlaubt. Das Equipment speziell vorbereitet hatten wir natürlich nicht. Ganz anders dagegen die Sportler um uns herum. Lange Neoprenanzüge tragen die wenigsten, die Anzüge sind über dem Ellenbogen bzw. über dem Knie abgeschnitten. Zwei Badekappen als Schutz vor dem kalten Wasser und damit man(n) beim Laufen nicht überhitzt und der Anzug nicht so sehr scheuert hatte sich mein zugeloster Teampartner für die gekürzte Neo-Variante und Nasenklammer entschieden. Weiter habe er das Kraulen erst kürzlich erlernt. Training? Iwo! Es ist zu anrührend, wie sich solche Sprüche durch alle Gattungen und Zeitalter ziehen. Besonders bei dem Herrn, vermutlich in meiner Altersklasse, womöglich ehrgeizig und eine Wucht von einem Mann.  Ich bin argwöhnisch. Pausenlos prasseln seine gut gemeinten Ratschläge auf mich ein. Zumindest spricht er wortgewaltig. Männer können so behutsam und achtsam sein. Wie sehr sollte ich mich täuschen – es ist ja nicht so, dass wir in heldenlosen Zeiten lebten.

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Für die Sicherheit darf das Zweier-Team nie weiter als 50 Meter voneinander getrennt und beim Schwimmen nie mehr als zehn Meter entfernt sein; Ausgebuffte verbinden sich mit einem Seil. Als Neuling in diesem Sport hatte ich absolut keine Ahnung, auf welche Endzeit ich denn hinarbeiten könnte oder sollte bzw. müsste. Ist auch egal, denn alle Anfänger in einer neuen Sportart haben erstmal die Aufgabe, Zuschauer und andere Teilnehmer zu unterhalten. Langsam füllt sich die schmale Promenade vor dem See mit Menschen. Hunde tollen herum. Für Samstagspazier- und Gassigänger sicher ein eigenartiger Anblick: Der Schlachtensee und der Wald wird zum Zentrum eines rätselhaften Geschehens. Viele bleiben stehen, wollen sehen, was die Verrückten hier so treiben? Nicht nur der Spaziergänger bleibt fragend zurück. Ich trage einen triefend nassen Neoprenanzug, grelle Laufschuhe und einen Ausdruck im Gesicht, der unmissverständlich sagt: Was tue ich hier? Sturm und Drang symbolisieren?

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Der Start beginnt schnell, scharf und gnadenlos mit einem Spurt über 1,4 km. Ich reihe mich ein in die Gruppe gehetzte neoprengekleideter Gestalten. Hektisch folge ich meinem Teampartner, sehe nur noch seinen Rücken. Supermann spuckt in die Schwimmbrille, springt mit hochrotem Kopf in den kalten See, ich stürze ihm hinterher. Und er? Er schwimmt mir davon. Paarweise jagen jetzt die Athleten vor mir durch das Wasser. In mir bleibt die Frage zurück, wer mich reanimiert, falls es zum Äußersten kommt. Ich spüre herzschlagerdrückende Kälte und ein jäher Schock beim ersten Untertauchen! Die erste Schwimmstrecke ist kurz allerdings lang genug, um langsam, ganz langsam das kalte Wasser, das durch die enge Haut des Neo auf meinen erhitzten Körper fließt, zu spüren. Die Atmung hyperventiliert, der Körper reagiert wie in den ersten Sekunden unter der kalten Dusche nach der Sauna. Endlich habe ich auch diese Hürde genommen und muss mich nur noch darauf konzentrieren, trotz des gummierten Würgegriffs die Atmung nicht einzustellen. Denke ich jedenfalls. Schon kommt das nächste Problem: Die Paddels an meinen Händen sollen für schnellen Vortrieb sorgen aber das Schwimmen, selbst mit den leichtesten Lauf-Schuhen, fühlt sich an wie ein Anker an den Füßen und ist nicht wirklich gut für die Wasserlage und kräftezehrend. Ich habe das Gefühl, auf der Stelle zu schwimmen und komme mir vor wie ein Kind, das gerade schwimmen lernt. Apropos Kind: Nichts ist grausamer für eine Mutter als der erste gemeinsame (Schwimm-) Wettkampf. Andererseits ist die Tochter fünfundzwanzig, und ihre Mutter war mit ihr beim Babyschwimmen. Gleich zu Anfang scheint schon fast alles verloren. Das Scheitern beginnt früh, meine Kraft hat ein recht kurzes Verfallsdatum. Und es tut weh. Mein zarter Hals ist eingemauert in einen enganliegenden Klettverschluss-Kragen mit strangulierender Funktion – Erinnerungen an kratzige Rollkragenpullover kommen hoch. Warum mache ich das?

Drüben ankommen, das ist das Ziel

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Ja verfluchte Sch… Das gibt’s doch nicht! Immer wieder flutscht der Pullbuoy, der eigentlich zwischen meinen Oberschenkeln als Auftriebshilfe klemmen sollte, an die Wasseroberfläche. Bewegungsunfähig und verwundert darüber, wie wenig nützlich so ein Pullbuoy und der Gummi-Einzelzelle ist, gebe ich auf, und lasse das dämliche Ding willenlos am Ufer liegen. Der Ausstieg gelingt gut. Bei jedem Schritt quatscht Seewasser aus meinen Laufschuhen, ich spüre eine tiefe Sehnsucht nach meinem Fahrrad. Hier gewann ich die Erkenntnis, dass sich das erste Motivationsloch bereits nach 100 Metern einstellen kann und trainierte Schwimmer bei dieser Art von Wettkampf eindeutig im Vorteil sind. Rutschiger Ausstieg, glitschige Wiese und nasse Schuhe. Verdammt, nur ein paar Enten (und meine Tochter und ihre Partnerin) schaukeln noch hinter mir. Ein steiler Pfad führt durch ein Waldstück hinauf, Wasser rieselt bei jedem Schritt aus den Schuhen, ich schnaufe und stöhne, aber die Mühe lohnt sich. Von hier oben hat man einen herrlichen Ausblick auf den See und den kraulenden Teams. Leider auch auf die mir gleich wieder bevorstehende noch längere Durchquerung des Sees.

Geduckt weiterlaufen, durchhalten

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Ich mutiere zu einer Art Schläufer (eine Mischung aus Schwimmer und Läufer) und laufe meinem Partner hinterher. Sagte er nicht, er wäre Schwimm-Anfänger? Netter Versuch. Das mit seiner Tarnung hat klappt. Mein Superman ist bereits auf den ersten Metern außer Sichtweite; verbale Entgleisungen überhöre ich und ertrage mit stummer Würde mein Schicksal. Während seine Holde sich besorgt nach seinem Zustand erkundigt. Schließlich will Man(n) innerfamiliär nicht für einen Übermenschen gehalten werden. Vor mir baut sich eine Welle des Zorns auf. Wo steckt der eigentlich? Zum Peilen müsste ich die Schwimmbrille abnehmen. Entweder man sieht nichts, oder man muss sie trocken wischen, was sind das für Alternativen? Mit den Paddels an den Händen ist das ständige an- und ausziehen und beim Laufen in der Hand tragen für mich kontraproduktiv. Mit so viel Spielzeug bin ich überfordert.  Man stellt sich vor, wie „mein“ Mann im schwarzen Einteiler am anderen Ufer wartend entnervt die Augen schließt. Das illustriert die Story mit einem Hinterkopfbild. Schließlich wird es wieder „Land-läufig“. Aber keineswegs langsamer, da ist „Mann“ konsequent. Die Schuhe quatschen und der Neo quietscht bei jedem Schritt, so laufen wir mitten hindurch einer Gruppe Spaziergänger, wie Wesen aus einer anderen Welt.

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Eine weitere Schikane? Mein Schwimmstil ähnelt mehr dem eines Ertrinkenden als dem eines Schwimmers. Nun sickert auch noch Wasser in die getönten Schalen meine Schwimmbrille. Mit den Paddels an den Händen ist es unmöglich diese abzusetzen. Also das Kraulen unterbrechen (Zugphase, Druckphase, Rückholphase, Körperrotation, Beinarbeit, Atmung) und auf der Stelle schwimmend die Paddels ausziehen, Wasser entleeren, Brille an den Augen festdrücken, Paddels anziehen, weiter schwimmen. Doch nun sind fast alle weg. Geradeaus? Rechts oder links? Ich bin ratlos, erhoffe bei dem heraufdämmernden Nachmittag auf ein Winken vom Ufer. Ich ziehe schwerfällig und langsam durch den See als schwömme ich in kaltem, klebrigen Honig. Mit einer Prise Verzweiflung, und einem Teelöffel Selbstmitleid…. nur um zu begreifen, was ich längst ahne. Es ist zum Weglaufen. Taumelnd muss ich alles geben, dem Teamkamerad soll ja nicht kalt werden.  Die Rettung erscheint in der Gestalt des Zielbogens. Ich kann nicht mehr ertrinken. Ich muss nicht mehr schwitzen. Ich bin Finisher.

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Rechtzeitig zum Finale des SRS habe ich endlich eine höhere Ebene der Erhabenheit erreicht und laufe strahlend HINTER meinem Supermann durchs Ziel. Ja er hat es allen gezeigt, er war schneller. Endlich kommt auch meine Tochter. Bewegungslos, aber glücklich, liegen wir uns in den Armen. Immerhin haben wir einen hautnahen, wenn auch nur klitzekleinen Eindruck von den Strapazen die die Teilnehmer bei der Prämiere des Swim-Run-Swim erwarten.

Erschöpft, nass und zufrieden sitzen wir am in der Waldgaststätte mit Blick auf den ruhigen See. Mit dem prasselnden Kaminfeuer, einer Tasse dampfenden Kaffee und einer Portion Kaiserschmarrn kehrt die Wärme in die aufgeweichten Füße und den Körper zurück. Es fühlt sich gut an, wenn das gemeinsame Abenteuer auf neuem Terrain überstanden ist und der Adrenalinspiegel wieder sinkt.

Fazit: Swim-Run-Swim ist spannend, das zeigt auch die wachsende Popularität. Der Star eines solchen Wettkampfes ist aber Zweifelsohne der Schwimmer. So kann es gehen. Meine Euphorie für ähnliche und längere Schwimmabenteuer hält sich stark in Grenzen.

 

Fotos: Christian Reitz